Erlöst von Unruhe und Streit

Im Johann-Weber-Haus stabilisieren sich Männer mit komplexen Problemlagen

Johannes Kopf und Claudia Scheb durchforsten gemeinsam einige Dokumente.
Johannes Kopf und Claudia Scheb haben es im Johan-Weber-Haus mit hoch belasteten Männern zu tun. Foto: Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft

Manche kennen das Leben auf der Platte. Manche waren im Gefängnis. Es gibt aber auch immer mehr Bewohner des Würzburger Johann-Weber-Hauses, die keine derart drastischen Brüche hinter sich haben. Allerdings ging es ihnen im Leben nie richtig gut. Dazu gehört Markus K (Name geändert). Der 44-Jährige kam im September 2022 in die sozialtherapeutische Einrichtung der Christophorus-Gesellschaft. Bis dahin war sein Leben von ADHS massiv beeinträchtigt gewesen. Ohne dass er die Diagnose kannte.

Doch irgendetwas war nicht in Ordnung. Das spürte Markus K. Ständig gab es Probleme mit anderen Familienmitgliedern. Ständig war da das Gefühl, unter Strom zu stehen. Immer war da so ein merkwürdiger innerer Druck. Nie war es möglich, zur Ruhe zu kommen. Immer war da die Jagd nach etwas, das er gar nicht genau benennen konnte. Markus stürzte sich in die Arbeit: „Und ich hab viel Sport gemacht.“ Kurzfristig tat es gut, sich auszupowern. Dann ließ der Druck nach. Andere Baustellen blieben. Zum Beispiel die ständigen Konflikte in der Familie. Oder auch die Tatsache, dass der Alltag sehr schlecht organisiert war. Vor zehn Jahren war der Würzburger am Tiefpunkt: „Ich wies mich selbst in die Psychiatrie ein.“ Das war sein allerletzter Rettungsanker. Zu diesem Zeitpunkt hatte der junge Mann daran gedacht, sich das Leben zu nehmen.

Gleichzeitig wollte er aber auch wieder nicht in die ewigen Jagdgründe eingehen. Im Grunde wollte er einfach, dass die ständige Jagd nach irgendetwas, dass die ständige Unruhe, die sein Leben prägte, zu Ende war. Noch sollten ein paar Jahre ins Land gehen, bis Markus K. endlich die Diagnose ADHS erhielt: „Das war 2020.“ Damit hatte das, was ihm zu schaffen machte und ihn mit anderen Menschen, allen voran mit seiner Familie, immer wieder in Konflikt brachte, einen Namen und ein Gesicht. Über die Zentrale Beratungsstelle wurde er zwei Jahre später auf das Johann-Weber-Haus aufmerksam. Seitdem er dort lebt, geht es langsam, aber stetig mit ihm aufwärts.

Seine Familie trifft Markus höchstes noch von Zeit zu Zeit. Er braucht Abstand. Beruflich versucht der gelernte Maler gerade, neu Fuß zu fassen. Außerdem sucht er eine Wohnung. Das es ihm alles in allem heute tausend Mal besser geht als vor zehn Jahren, hat er den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern des Johann-Weber-Hauses zu verdanken. An die wiederum wenden sich immer mehr Menschen, die dringend sozialtherapeutische Hilfe benötigen, weil sie aufgrund massiver seelischer Probleme im Leben überhaupt nicht mehr klarkommen. „Seit zwei Jahren haben wir eine Warteliste“, berichtet Johannes Kopf vom Leitungsteam.

Es gibt in den aktuellen Krisenzeiten viele Gründe, warum jemand ins Schleudern geraten kann. Bei jenen 28 Männern, die im Johann-Weber-Haus wohnen, kommt in aller Regel ein Bündel an Problemlagen zusammen. „Das macht die Arbeit mit den Bewohnern zeitintensiv“, berichtet Claudia Scheb vom Leitungsteam. Der Umstand, dass die Sozialarbeit in den letzten Jahren viel komplexer geworden ist, wurde bei den jüngsten Pflegesatzverhandlungen vom Bezirk Unterfranken anerkannt. „Der Bezirk sah unsere Not und verbesserte die Pflegesätze“, so Claudia Scheb. Dadurch können die Bewohner endlich angemessen unterstützt werden.

Das Team sorgt dafür, dass die Männer, sollte dies notwendig sein, einen Termin beim Arzt haben. Sie helfen, wie auch im Falle von Markus, einen völlig chaotischen Papierkram zu ordnen. Sie unterstützen bei der Wohnungs- und der Arbeitssuche. Ziel ist ein neuerlich oder erstmals eigenständiges Leben. „Immer häufiger brauchen unsere Bewohner jedoch nach dem Aufenthalt bei uns eine Anschlussmaßnahme“, sagt Claudia Scheb. Die zu finden, ist nicht einfach. Denn nicht nur das Johann-Weber-Haus hat eine hohe Nachfrage und dadurch bedingt eine Warteliste. Auch Einrichtungen, die Betreutes Wohnen anbieten, sind im Augenblick überlaufen.

Auch Menschen ohne psychische Belastungen müssen angesichts der Dauerkrisen oft ihre ganze Kraft dransetzen, um ihren Alltag zu bewältigen. Leidet jemand unter Depressionen, ADHS oder Ängsten, ist es noch schwieriger, sich über Wasser zu halten. Im Johann-Weber-Haus fällt auf, dass sich die Situation im Vergleich zu 2019 deutlich verschärft hat. Vor Beginn der Corona-Krise hatte die Einrichtung öfter freie Plätze, die sofort an Männern in Not vergeben werden konnten. Dies ist nicht mehr so, sagt Johannes Kopf: „Wir könnten gerade mehr Plätze brauchen, wobei wir gespannt sind, ob der Trend anhält oder wieder abflacht.“

Markus K. ist im Moment einfach nur froh, dass viele seiner Angelegenheiten, die ins Stocken geraten waren, endlich wieder in Fluss sind. Er hofft, bald eine Wohnung zu finden und aus dem Johann-Weber-Haus ausziehen zu können. Dann hätte ein Klient auf der Warteliste, der ganz dringend Unterstützung braucht, eine Chance, sich gleichfalls wieder zu stabilisieren. Für andere Bewohner aus dem Johann-Weber-Haus wäre es am besten, in Würzburg in eine Einrichtung zu wechseln, wo sie auf längere Zeit oder womöglich sogar für immer bleiben könnten. Doch so etwas gibt es bisher noch nicht.

Zurück