Keine eigene Dusche, kein Klo

Durch das Housing First-Projekt NOAH kamen schon sechs Menschen zu Wohnraum

Jan Bläsing überreicht Petra S., Klientin im Housing First-Projekt NOAH, einen Flyer mit Hilfsangeboten. Bild: Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft

22.04.2024

Drogen waren der Hauptgrund dafür, dass das Leben von Petra S. entgleiste. Die heute 57-Jährige landete aus diesem Grund in jungen Jahren hinter Gittern. Nach der Haftentlassung fasste sie beruflich nie mehr richtig Fuß. Besonders schlecht ging es ihr im letzten Jahr: Petra S. lebte unter katastrophalen Bedingungen in einer Obdachlosenunterkunft. An Weihnachten wendete sich das Blatt. Durch das Housing First-Projekt NOAH kam die Würzburgerin endlich wieder zu eigenen vier Wänden.

Eine Wohnung zu haben ist die Grundvoraussetzung für den Ausstieg aus einem prekären Leben. Ohne feste Adresse findet man kaum einen Job. Ohne Wohnung ist es fast unmöglich, sich ein soziales Netz aufzubauen.

Viele Menschen haben jedoch auf dem Mietmarkt mangels Geld keine Chance. So erging es auch Petra S. Sie hatte zwar immer ein Dach über dem Kopf. Doch die Wohnbedingungen in der Obdachlosenunterkunft waren fürchterlich: „Ich hatte keine eigene Dusche, keine eigene Toilette, keine Küche.“ Ein Jahr lebte Petra S. in der Obdachlosenunterkunft als einzige Frau mit einem Dutzend Männern zusammen. Mehrmals kam es zu sexuellen Übergriffen.

Fast niemand landet aus freiem Entschluss auf der Straße. In aller Regel haben Menschen, die wohnungslos wurden, ein hartes Schicksal hinter sich. Jan Bläsing von der Würzburger Christophorus-Gesellschaft, der das Projekt NOAH leitet, kennt Dutzende Menschen, die ähnlich schlimme Erfahrungen wie Petra S. mit Haft, Arbeits- und Obdachlosigkeit hinter sich haben. Seit einem Jahr gibt es das von ihm geleitete Projekt. 81 Männer und Frauen fragten bisher an, ob sie aufgenommen werden könnten. 17 wurden inzwischen integriert. In sechs Fällen gelang die Vermittlung in Wohnraum. Das ist angesichts der gravierenden Wohnungsnot beachtlich.

Allein bei der Würzburger Kronprinz-Rupprecht-von-Bayern-Stiftung rufen durchschnittlich zwei- bis dreimal in der Woche Menschen an, die dringend eine Wohnung benötigen. Davon berichtet Marlene Schmidt von der Vermietungsabteilung. In vielen Fällen handelt es sich nach ihren Worten um Flüchtlinge. Doch mindestens einmal wöchentlich erreicht die Wohnungsbaugenossenschaft ein „Hilferuf“ aus der einheimischen Bevölkerung. „Wir würden gerne jedem, der eine Wohnung sucht, helfen, doch wir können das einfach nicht“, sagt sie. In einem Fall konnte nun jedoch Hilfe geleistet werden: Ein NOAH-Klient erhält in Kürze über die Kronprinz-Rupprecht-von-Bayern-Stiftung Wohnraum.

Als die Kronprinz-Rupprecht-von-Bayern-Stiftung im Herbst 2023 erstmals Näheres über NOAH erfuhr, war die Genossenschaft ohne zu zögern bereit gewesen, zu kooperieren. Dadurch kann nun ein NOAH-Klient seine Wohnungslosigkeit nach 13 Jahren beenden. „Der Mann hatte sogar gearbeitet, obwohl er auf der Straße lebte“, berichtete Jan Bläsing. Schön allerdings war sein Leben nicht gewesen. Der Klient muss mit psychischen Problemen fertig werden. Und mit sozialer Isoliertheit. Endlich, so der Sozialpädagoge, hat er eine Chance, „im Leben anzukommen“ und einer geregelten Arbeit nachzugehen.

Eine Wohnung zu haben, weiß auch Marlene Schmidt, ist von höchster Wichtigkeit. Was sie durch ihre Kooperation mit NOAH inzwischen an Schicksalen wohnungsloser Menschen mitbekommen hat, berührt sie. Vor kurzem ließ sie sich von Petra S. schildern, was hinter ihr liegt. Sie erfuhr, dass die Alleinerziehende dank des Housing First-Projekts der Christophorus-Gesellschaft nun zum allerersten Mal mit ihrem 17 Jahre alten Sohn zusammenleben kann. Der wurde viele Jahre lang in Wohngruppen betreut: „Ich sah ihn immer nur an jedem zweiten Wochenende und in den Ferien.“ Beide freuen sich sehr, erzählte Petra S., dass sie endlich als Familie zusammenleben.

Trotz Wohnung gibt es nach wie vor viele Dinge, die Petra S. runterziehen können. „Doch damit, dass ich eine Wohnung habe, ist ja nicht alles vorbei, ich werde durch NOAH weiterbetreut“, berichtet die gelernte Bürokauffrau. Wann immer sie ein Problem oder Redebedarf habe, erhalte sie von Jan Bläsing und seinen Kollegen Unterstützung: „Ich kann mich völlig darauf verlassen.“

Der Ansatz „Housing First“ setzt sich bundesweit immer stärker durch, allerdings ist es keineswegs einfach, diese Idee in die Praxis umzusetzen. Eben weil der Wohnungsmarkt so schwierig ist. Es braucht Vermieter wie die Kronprinz-Rupprecht-von-Bayern-Stiftung, die begreifen, dass Wohnungslose die vielen Probleme, die sie haben, angefangen von Krankheiten über Drogensucht bis hin zu Schulden, erst dann anpacken können, wenn sie eigene vier Wände haben. „Dies ist zentral für jede Veränderung“, unterstreicht Jan Bläsing.

Wegen ihrer früheren Haft, vor allem aber auch wegen ihrer Wohnungslosigkeit hatte sich Petra S. lange Jahre als Outsiderin gefühlt. Hinzu kam die Angst. Oft hatte sie sich nicht aus dem Zimmer getraut, weil sie sexuelle Übergriffe befürchtete. Endlich kann sie zur Ruhe kommen. Jeden Tag genießt sie es, zu duschen: „In der Obdachlosenunterkunft hatte ich zum Schluss nur noch zweimal in der Woche geduscht, weil die Duschen derart eklig waren.“ Ihr Sohn ist überglücklich, dass Mama endlich eine eigene Küche hat. Mit Leidenschaft brutzelt er sich Frühlingsrollen. Oder Pizza. Oder was sonst alles lecker ist.

Text: Nadia Fiedler

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