365 Tage im Jahr geöffnet

Vor 130 Jahren wurde die Christophorus-Einrichtung „Herberge zur Heimat“ gegründet

Jeder Übernachtungsgast kann sich laut Einrichtungsleiter Michael Thiergärtner duschen, auch gibt es bei Bedarf frische Kleidung. Bild: Günther Purlein

Würzburg. Allabendlich trifft sich eine bunte Gesellschaft in der Kurzeitübernachtung der Christophorus-Gesellschaft. Da ist der 80-Jährige, der seit vier Jahrzehnten mit dem Fahrrad durch die Lande tingelt. Ein Mittdreißiger verlor seine Wohnung und findet keine neue Bleibe mehr. Ein weiterer Gast hängt an der Flasche und bekommt deshalb seine Existenz nicht mehr auf die Reihe. „Für all diese Männer ist unser Hilfeangebot eine wichtige Konstante in ihrem Leben“, sagt Einrichtungsleiter Michael Thiergärtner.

Seit 1885 hilft die früher „Herberge zur Heimat“ genannte Einrichtung sozial entwurzelten Männern. Ursprünglich suchten vor allem wandernde Handwerksgesellen und Arbeitslose die vom Evangelischen Arbeiterverein gegründete Anlaufstelle auf. Alle Mann übernachteten bis 1978 in einem Schlafsaal. „Heute stehen den Männern 20 Betten in fünf Zimmern zur Verfügung“, erläutert Thiergärtner, der die Zentrale Beratungsstelle für Wohnungslose und damit auch die Kurzzeitübernachtung seit April leitet. Wer bei der Ankunft Hunger hat, erhält etwas zu essen. Handtücher und Duschutensilien werden ausgegeben. Selbst frische Kleidung gibt es.

Am nächsten Tag darf sich jeder am Frühstücksbüffet bedienen. Danach wird der Tagessatz ausgezahlt. Dann geht es entweder weiter in die nächste Stadt. Oder man bleibt noch eine Weile in Würzburg und klopft am Abend wieder an die Tür der Kurzzeitübernachtung, wie die ehemalige „Herberge zur Heimat“ seit 15 Jahren heißt.

„Innerhalb einer Woche klärt das Fachpersonal, ob weitere Hilfe erforderlich und gewünscht ist,“ so Thiergärtner. Männer wie der 80 Jahre alte Übernachtungsgast, der Deutschland durchradelt, haben gar nicht den Wunsch, sich irgendwo eine Wohnung zu suchen und sesshaft zu werden. Der Senior kennt kein anderes Leben. Es gefällt ihm, frei zu sein. Dass er zufrieden ist, so, wie er sich im Leben eingerichtet hat, ist auch daran abzulesen, dass er keine Drogen braucht, um mit dem Leben auf der Straße klarzukommen.

Das ist bei den meisten jüngeren Besuchern, die unfreiwillig auf der Straße gelandet sind und nichts lieber hätten als eine eigene Bude, ganz anders. Thiergärtner: „Sie haben allerdings große Probleme auf dem Wohnungsmarkt.“ Oft schreckt ihr Aussehen potenzielle Vermieter ab. Manchmal liegt es auch am Auftreten - die Männer erscheinen unsicher und wirken nicht sehr verlässlich. Dann wieder verhindert eine Suchterkrankung eine konsequente Wohnungssuche.

Die Mitarbeiter der Christophorus-Gesellschaft versuchen, Brücken zurück in die Gesellschaft zu schlagen. „Wir zeigen auf, welche Möglichkeiten wir mit unseren Einrichtungen bieten, und machen darauf aufmerksam, was die Stadt für Wohnungslose tut“, erklärt Thiergärtner. Manch ein Übernachtungsgast geht tagsüber in die Wärmestube oder die Bahnhofsmission der Christophorus-Gesellschaft. Hin und wieder ist ein Wohnungsloser sogar bereit, sich auf eine stationäre Therapie im benachbarten Johann-Weber-Haus der ökumenischen Gesellschaft einzulassen.

Nicht immer möchten die Männer, dass ihnen geholfen wird. Ihnen ist zwar bewusst, dass sie körperlich oder seelisch krank sind. Doch sie wollen sich nicht behandeln lassen. Depressionen, Psychosen, Diabetes, Inkontinenz - all das sind Krankheiten, mit denen das Team ständig konfrontiert ist. „Vor allem Suchterkrankungen sind weit verbreitet“, sagt Thiergärtner. Die Männer selbst sagen, dass sie das Leben auf der Straße ohne Alkohol und Drogen nicht aushalten würden. Und es sei schwer, von der Straße wegzukommen. Auch wegen des nach wie vor angespannten Wohnungsmarkts.

Günther Purlein

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