Abtauchen und alles vergessen

Würzburger Johann-Weber-Haus half Benedikt G. auf seinem Weg aus der Spielsucht

Stefan Nothegger (Mitte) von der Schreinerwerkstatt des Johann-Weber-Hauses besucht Benedikt G. (rechts) in der Kunstwerkstadt (Thomas Stefan, links) des „Hauses Hirtenhof“. Bild: Günther Purlein

Würzburg | Partenstein. Dass das Spielen ein Problem für ihn ist, und zwar ein gewaltiges, sah Benedikt G. jahrelang nicht ein. In die virtuelle Spielwelt abzutauchen, erlebte er vielmehr als beglückend. „Erst bei meinem dritten Aufenthalt im Johann-Weber-Haus machte es bei mir im Kopf ‚Klick’“, erzählt der 37-Jährige. Über die Einrichtung der Christophorus-Gesellschaft gelang es ihm auch, einen Suchtbehandlungsplatz zu bekommen. Derzeit lebt Benedikt G. im „Haus Hirtenhof“ in Partenstein.

Vor mehr als zehn Jahren schlidderte Benedikt G. allmählich in die Spielsucht hinein. In seinen Hochphasen tat er fast nichts mehr außer spielen und schlafen. Über die Spielsucht ging seine Ehe in die Brüche. Die Wohnung verwahrloste. Irgendwann riss dem Vermieter der Geduldsfaden. Er kündigte. Benedikt G. war plötzlich obdachlos. Aus diesem Grund klopfte er im Sommer 2015 im Johann-Weber-Haus an. Die Einrichtung für wohnungslose Menschen kannte er zu jenem Zeitpunkt bereits. Zweimal hatte Benedikt G. schon versucht, hier sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Beide Male war es ihm nicht gelungen, dieses Ziel zu erreichen.

Benedikt G. hat nicht nur ein Suchtproblem. „Ich leide auch an Depressionen“, sagt der junge Mann. Die Diagnose kennt er schon lange. Doch er gestand sich bis vor wenigen Jahren nicht ein, was dies für sein Leben bedeutet. Oft kam er psychisch auch ganz gut klar. Was daran liegt, dass Benedikt G. ein zweites seelisches Problem hat. „Er leidet gleichzeitig an ADHS im Erwachsenenalter“, sagt Thomas Stefan, der das „Haus Hirtenhof“ leitet. Die ADHS bewirkt, dass Benedikt G. plötzlich voller Euphorie sein kann. Zum Beispiel, weil sich das Gefühl einstellt, die Sucht überwunden zu haben. Doch genau das ist gefährlich. Die Euphorie macht leichtsinnig. Und programmiert Rückfälle.

Sucht ist nichts, was in wenigen Monaten überwunden werden könnte, weiß Benedikt G. heute. Etliche kleine Schritte sind nötig, um sich nach und nach aus der Abhängigkeit zu befreien. Im Johann-Weber-Haus wurden die Weichen für die ersten entscheidenden Schritte gestellt: „Stark stabilisiert hat mich die Arbeit in der einrichtungseigenen Schreinerwerkstatt.“ In Werkstattchef Stefan Nothegger fand Benedikt G. einen einfühlsamen Anleiter. Nothegger gab ihm einerseits Struktur. Gleichzeitig sorgte er mit immer anspruchsvolleren Aufgaben dafür, dass G.s Selbstvertrauen wuchs.

Daneben halfen Benedikt G. die Gespräche mit Sozialpädagogin Claudia Scheb vom Johann-Weber-Haus. G. verstand dadurch besser, mit seinen Depressionen und seiner Neigung zur Sucht umzugehen. Irgendwann kam die Frage auf, wie es nach der Stabilisierung im Johann-Weber-Haus weitergehen könnte. Benedikt G. wäre bereit gewesen, sich einer stationären Spieltherapie zu unterziehen. „Doch das wurde von der Rentenversicherung abgelehnt“, sagt Scheb. Gemeinsam suchten die beiden nach Alternativen. Im „Haus Hirtenhof“ des Deutschen Ordens in der Spessartgemeinde Partenstein fanden sie endlich eine geeignete Anschlussmaßnahme.

„Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, hätte ich im Johann-Weber-Haus keine dritte Chance bekommen“, meint Benedikt G. im Rückblick. Möglicherweise hätte er dann immer noch keine Klarheit über sich, seine seelischen Probleme und seinen krankhaften Hang, spielend der Realität zu entfliehen. Vielleicht hätte er alles verloren, was er noch besaß. Vielleicht würde er heute auf der Straße leben: „Ich bin darum so unsagbar dankbar für die Hilfe, die ich erhielt.“

Für das Team des Johann-Weber-Hauses macht der „Fall“ Benedikt G. deutlich, dass man suchtkranken Menschen nicht gerecht wird, wenn man ihnen nur eine einzige Chance einräumt - und sie nach dem Scheitern fallenlässt. Auch Suchtspezialist Thomas Stefan vom „Haus Hirtenhof“ weiß, dass es einen langen Atem braucht, um Menschen mit Abhängigkeitserkrankung in ein suchtfreies Leben zu begleiten. Mehr als 70 Suchtpatienten erhalten in seiner  Einrichtung in unterschiedlichen Hilfeformen Unterstützung: „Manche begleiten wir eineinhalb Jahre, andere sind schon seit 15 Jahren bei uns.“

Auch Benedikt G. wird wohl noch mindestens ein Jahr brauchen, bis er so viel über seine seelischen Erkrankungen und sein Suchtverhalten gelernt hat, dass Rückfälle unwahrscheinlich werden. „Danach möchte ich in die Trainingswohngruppe des Hirtenhofs ziehen“, sagt er. Über das Betreute Wohnen hofft er, in wenigen Jahren wieder selbstständig leben zu können.

Seine Freundin aus Nürnberg, die er an den Wochenenden besuchen kann, hat sich bereiterklärt, diese lange Zeit mit ihm durchzustehen. Nicht zuletzt das macht Benedikt G. Mut. Irgendwann, weiß er, wird er mit ihr zusammenleben können. Ohne Suchtdruck. Ohne Geldsorgen. Einfach ganz normal. Wie alle anderen Paare auch.

Günther Purlein

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