Als kein Cent mehr aufs Konto kam

Christophorus-Gesellschaft unterstützt Menschen in prekären Lebenslagen

Nadia Fiedler und Michael Thiergärtner besprechen, wie sie Ralf Müller auf seinem Weg aus der Armut weiter unterstützen können. Bild: Günther Purlein

Würzburg. Drei Monate lange lebte Ralf Müller von keinerlei Einkommen. Einen Job hatte er nicht. Das Jobcenter hatte ihn komplett gesperrt. „Denn ich hatte Termine versäumt und mich auch nicht beworben“, bekennt der 42 Jahre alte Klient der Würzburger Christophorus-Gesellschaft. Zwei Jahre ist das her. Zu dieser Zeit ging es ihm psychisch extrem schlecht. Er knabberte noch immer am Tod seiner Großmutter, bei der er aufgewachsen war. Außerdem hatte ihn seine Lebensgefährtin verlassen.

Weil Müller die Miete nicht mehr zahlen konnte, wurde er zwangsgeräumt. Da stand er nun. Ohne Dach über den Kopf. Ohne Arbeit. Ohne Partnerin. Dafür mit einem fast 20.000 Euro schweren Schuldenberg. Wie sollte er den jemals abschmelzen können? Wie sollte es überhaupt weitergehen? Nächtelang lag er schlaflos im Bett und grübelte. „Keine Ahnung, was aus mir geworden wäre, wäre ich nicht von der Christophorus-Gesellschaft aufgefangen worden“, sagt der Würzburger, der seit einem knappen Jahr Klient des Betreuten Wohnens und ebenso lange Klient der Schuldnerberatung der gemeinnützigen Gesellschaft ist.

Wer Ralf Müller heute auf der Straße sieht, würde niemals vermuten, was er alles hinter sich hat. Er schaut gepflegt und sympathisch aus, als Gesprächspartner ist er reflektiert und weiß sich gut auszudrücken. Inzwischen ist er auch auf einem guten Weg hinaus aus der ihm oft ausweglos erschienenen Situation, in die er sich, wie er sagt, ja selbst hineinmanövriert hat.

Müller, der eine informationstechnische Ausbildung hat, absolviert gerade einen Kurs, der seine Jobchancen deutlich erhöhen wird. Zu alten Freunden konnte er wieder Kontakte knüpfen. Über einen Kumpel aus dem Sportverein hat er nun wohl auch eine Wohnung in Aussicht. Seine Schulden nahm er ebenfalls in Angriff. „Wir halfen Herrn Müller ins Insolvenzverfahren zu kommen“, erläutert Nadia Fiedler, Leiterin der Schuldnerberatungsstellen der Christophorus-Gesellschaft.

Ralf Müller ist einer von zahlreichen Klienten, die völlig verzweifelt zur Christophorus-Gesellschaft kommen, weil sie keinen Ausweg aus ihrer prekären Situation mehr sehen. Viele klagen sich, ähnlich wie Ralf Müller, selbst an: Hätten sie sich nur anders verhalten, dann wäre es nie so rapide bergab gegangen! „Doch Schulden haben nichts mit moralischer Schuld zu tun“, betont Nadia Fiedler, deren Aufgabe als Schuldnerberaterin auch darin besteht, die Klienten psychosozial zu unterstützen. Nach ihren Worten gibt es in jedem Einzelfall nachvollziehbare Gründe, warum sich ein Schuldenberg aufgetürmt hatte, die nichts mit „Schuld“ zu tun haben. Im Falle von Ralf Müller lag dies an einer gravierenden seelischen Krise.

Dass es Müller heute besser geht als vor zwei Jahren, hat er allen voran Michael Thiergärtner zu verdanken. Der leitet die Kurzzeitübernachtung für Männer der Christophorus-Gesellschaft. Hier hatte Müller, als er seine Wohnung verlor, eine ganze Woche zugebracht. Über diese Einrichtung erhielt er einen Platz im Betreuten Wohnen der Christophorus-Gesellschaft. In seiner neuen Bleibe kam er innerlich so weit zur Ruhe, dass er darangehen konnte, an den einzelnen Baustellen in seinem Leben zu arbeiten.

Bis zu 15 Männer, die in der Männerübernachtung waren oder auf der Straße übernachtet haben, kommen jeden Morgen zu Michael Thiergärtner, um ihren Tagessatz abzuholen. Viele wünschen sich nichts mehr, als endlich wieder ein normales Leben zu führen. Das scheitert derzeit vor allem an einem Punkt, sagt der Sozialpädagoge: „Die Männer finden keine Wohnung, die sie mit dem Hartz IV-Satz bezahlen könnten.“ Der Würzburger Markt an günstigem Wohnraum sei leergefegt. Viele Klienten der Christophorus-Gesellschaft suchen seit Monaten, wenn nicht seit Jahren.

Bereits vor fünf Jahren verwiesen die Christophorus-Gesellschaft und andere soziale Organisationen in Würzburg darauf, dass die Situation immer brisanter wird. Resonanz auf die Appelle gab es kaum. Nun sollen Wohnungen gebaut werden - allerdings in erster Linie mit Blick auf Flüchtlinge. Was bei einer ganzen Reihe von armen Menschen auf Unmut stößt.

„Auch ich will, dass Flüchtlingen geholfen wird. Aber warum tut niemand etwas für uns?“, klagt ein Klient der Christophorus-Gesellschaft, der sich als Verlierer in der aktuellen Debatte um die Integration von Zuwanderern fühlt. Flüchtlingen wolle er beileibe kein einziges Hilfsangebot wegnehmen: „Doch für uns Arme muss endlich mehr getan werden!“

Viel mehr Sozialwohnungen fordert der Mann. Vom Jobcenter wünscht er sich außerdem echte Unterstützung: „Und nicht, dass man dauernd sanktioniert wird.“ Auch an die Gesellschaft hat der Wohnungslose einen Wunsch: „Arme dürfen nicht ausgegrenzt werden.“ Man sollte sich Ihnen gegenüber, ebenso wie gegenüber den Flüchtlingen, solidarisch zeigen.

Günther Purlein

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