„Auch ich weiß, was Armut ist“

Sechs Flüchtlinge aus Syrien bereichern das Ehrenamtsteam der Bahnhofsmission

Sandra Hirsch spricht mit (von links) Alan Wali, Alten Abdulrahman und Youssef Sakaan über ihre Erfahrungen als Ehrenamtliche in der Bahnhofsmission. Bild: Günther Purlein

Würzburg. Alten Abdulrahman gehört zu jenen Menschen die man einfach gern haben muss. Die blonde Syrerin strahlt etwas unaufdringlich Herzliches aus, das sofort für sie einnimmt. So geht es auch den Besuchern der Würzburger Bahnhofsmission, wo Alten Abdulrahman seit März zusammen mit ihrem Mann ehrenamtlich arbeitet. Dass sie noch nicht perfekt Deutsch spricht, stört keinen der Besucher: „Die Menschen sind alle unheimlich nett zu mir.“

Alten Abdulrahman ist gemeinsam mit ihrem Mann Youssef Sakaan Teil eines sechsköpfigen interkulturellen Teams, das sich seit Jahresbeginn in der Bahnhofsmission engagiert. „Wir möchten internationaler werden“, erklärt Einrichtungsleiter Michael Lindner-Jung. Was die Besucher anbelangt, hat die Bahnhofsmission ohnehin längst eine internationale Ausrichtung.

Über 13.000 Kontakte zu Migranten registrierte die Einrichtung der Würzburger Christophorus-Gesellschaft im letzten Jahr. Vor diesem Hintergrund erschien es nur folgerichtig, auch das Ehrenamtsteam um Mitarbeiter zu bereichern, die nach Deutschland zugezogen sind. Mit der Deutschen Bahnstiftung fand sich ein Förderer, der das Projekt seit November und noch bis August unterstützt.

Projektmanagerin Sandra Hirsch suchte in verschiedenen Flüchtlingseinrichtungen nach Menschen, die Lust haben, sich in das bundesweit einmalige Ehrenamtsprojekt einzubringen. Wobei es auch Migranten gab, die von sich aus auf die Bahnhofsmission zugingen und nachfragten, ob sie mithelfen dürfen. Eben dazu gehörten Alten Abdulrahman und Youssef Sakaan. Die Erfahrung, in Deutschland reiche Hilfe erhalten zu haben, führte dazu, dass die beiden von selbst auf die Idee kamen, sich als Freiwillige zu bewerben.

40 Tage lang, erzählt Alten Abdulrahman, sei sie mit ihrem Mann nach Deutschland geflohen. Am Ende ihrer Kraft kam sie im August 2015 in Würzburg an. Bei der Caritas traf sie Menschen, die sich auf eine Weise um sie kümmerten, wie Abdulrahman das niemals für möglich gehalten hätte. „Ich konnte kaum noch laufen“, berichtet sie. Eine Caritas-Mitarbeiterin nahm sich ihrer an, holte Wasser und versorgte die wunden Füße.

Ähnliche Erfahrungen machte Alan Wali. Der 22 Jahre alte Kurde, der aus dem syrischen Kobanê floh, suchte, in Würzburg angekommen, Kleidung für einen Freund. So kam er in die Bahnhofsmission, wo man ihm weiterhalf. Dass es eine solche Einrichtung gibt, begeisterte den jungen Mann, der sich ein Jahr lang ehrenamtlich für den Roten Halbmond engagiert hatte. Auch er fragte an, ob er ins Ehrenamtsteam aufgenommen werden könne.

Mitte März begann Wali sein Engagement. Auch er machte bisher ausschließlich positive Erfahrungen mit den Besuchern. Was nicht verwundert, denn auch Wali geht mit großem Fingerspitzengefühl an seine Aufgabe heran. „Früher war meine Familie reich, jetzt bin ich arm“, sagt er. Darum wisse er, was es bedeutet, sozial abzustürzen und plötzlich in prekären Verhältnissen zu leben.

Dass es in Deutschland nicht wenige Menschen gibt, die am Existenzminimum leben, hätte sich Alan Wali früher nicht vorstellen können. Durch Verwandte, die schon lange hier wohnen, erfuhr er früh von dem Land im Herzen Europas. Die Verwandten sangen ein Loblied auf ihre neue Heimat. Wie gut hier alles sei. „Als Kind stellte ich mir die Deutschen wie Engel vor“, schmunzelt der Kurde.

Für das 50-köpfige Haupt- und Ehrenamtsteam der Bahnhofsmission bedeutet das neue, interkulturelle Projekt eine Bereicherung, gleichzeitig fordert es heraus. „Wir arbeiten an der Frage, wie wir mit Blick auf die kulturellen Unterschiede alles möglichst gut machen können“, sagt Einrichtungsleiter Michael Lindner-Jung. Das betreffe etwa Fragen des Essens, der Art und Weise des Umgangs miteinander bis hin zu Unterschieden bei der Begrüßung und Verabschiedung.

„Auch die Sprache stellt natürlich eine Herausforderung dar“, sagt Sandra Hirsch. Schließlich muss in der Bahnhofsmission mit vielen Fachbegriffen aus dem Sozialrecht operiert werden. Was genau versteht man unter „Eingliederungshilfe“? Was ist ein „Tagessatz?“ Diese Fachbegriffe sind für alle eine Hürde, die es zu überwinden gilt.

Auf der anderen Seite tragen die neuen Ehrenamtlichen dazu bei, dass sich das sprachliche Angebot der Bahnhofsmission für Flüchtlinge verbessert. So redete Alten Abdulrahman kürzlich auf Arabisch mit einer Besucherin, die ihr eine Gewalterfahrung anvertraut hatte. Auf Deutsch hätte die Frau das, was sie erlebte, niemals ausdrücken können. Geschweige denn, dass sie sich einfach einem Ehrenamtlichen anvertraut hätte: „Über so etwas mit einem Mann zu sprechen, ist bei uns völlig tabu.“

Günther Purlein

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