Beim Sozialamt gibt’s Hilfe

Viele Rentner geraten wegen hoher Heizkostennachzahlungen in Panik

Robert Morfeld und Petra Müller halten gemeinsam ein Dokument zur Energiearmut in die Kamera.
Robert Morfeld und Petra Müller helfen in akuten finanziellen Notlagen. Bild: Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft

17.11.2023

„Sehen Sie mal, was soll ich denn bloß machen?“ Nervös sitzt Erna G. (Name geändert) vor Schuldnerberaterin Petra Müller von der Christophorus-Gesellschaft. Der Rentnerin war drei Tage zuvor eine saftige Heizkostennachzahlung ins Haus geflattert. 1.000 Euro will ihr Energieversorger von ihr haben. Doch Erna G. kommt mit ihrer Rente gerade so über die Runden. „Das heißt, dass Sie nun für den einen Monat der Nachzahlung hilfebedürftig sind“, sagt Petra Müller und verweist die 75-Jährige darauf, dass ihr Sozialhilfe zusteht.

Erna G. war in jungen Jahren eine perfekte Hausfrau gewesen. Ihre Wohnung war stets tipptopp. Sie kochte täglich. Und kümmerte sich rührend um die Kinder. Nebenher ging sie arbeiten. Allerdings meist lediglich in Teilzeit. Deshalb hat sie nun im Alter nicht genug Geld zur Verfügung. Mit Alters- und Witwenrente nimmt Erna G. knapp 1.200 Euro im Monat ein. Fast 600 Euro kostet die Warmmiete. Außerdem ist sie noch mit dem Kredit ihres vor gut einem Jahr verstorbenen Mannes belastet. Von ihrem wenigen Geld, das abzüglich Miete, Strom- und Heizkosten übrigbleibt, zahlt Erna G. jeden Monat 200 Euro ab. Bisher lag ihr Einkommen knapp über der Bedürftigkeitsgrenze. Deshalb hat Erna G. noch nie etwas mit dem Sozialamt zu tun gehabt. Dass sie einen Antrag auf ergänzende Grundsicherung im Alter beim Sozialamt stellen kann, um ihre Heizkostennachzahlung zu begleichen, hört sie von Petra Müller zum ersten Mal.

Seit dem Importstopp von russischem Öl stiegen die Energiekosten gewaltig. Das bringt mehr und mehr Menschen in die Bredouille. Viele Ratsuchende kommen derzeit zur Christophorus-Gesellschaft, weil sie, wie Erna G., mit einer hohen Heizkostennachzahlung konfrontiert sind. „Ich hatte unlängst einen Klienten, der über 2.000 Euro nachzahlen muss“, berichtet Petra Müllers Kollege Robert Morfeld. Wie sich herausstellte, hat auch dieser Mann Anspruch auf Sozialhilfe. Allerdings ist für ihn nicht das Sozialamt zuständig. Sondern das Jobcenter.

Dass armen Menschen im Falle hoher Heizkostennachzahlungen soziale Hilfe zusteht, ist gut, sagt Robert Morfeld: „Doch wer was an welcher Stelle beantragen kann, das ist extrem kompliziert.“ Auf dem Bildschirm seines Computers prangt ein Schaubild, auf das Robert Morfeld bei seinen Beratungsgesprächen hin und wieder einen Blick wirft. Wer wo an der richtigen Adresse ist, hängt davon ab, ob jemand Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht, ob jemand bei geringem Verdienst angestellt oder ob jemand arbeitslos ist.

Das allerdings ist nicht das einzige Problem. „Der Antrag muss im Monat der Fälligkeit gestellt werden“, sagt Robert Morfeld. Diese Frist ist für manche Klienten knapp. Viele sind, ziehen sie den Brief mit der hohen Nachzahlung aus dem Briefkasten, erst mal wie gelähmt. Manche wissen nicht, wohin sie sich überhaupt wenden können. Vielleicht erfahren sie erst nach zwei oder drei Wochen, dass die Würzburger Schuldner- und Insolvenzberatung für solche Fälle an jedem Donnerstag von 14 bis 16 Uhr eine offene Sprechstunde hat. Dann muss der Antrag organisiert werden. Wer das mangels Equipment nicht online tun kann, muss sich aufs Sozialamt begeben.

Die Schuldnerberater der Christophorus-Gesellschaft haben insgesamt mehr denn je zu tun. Vor allem werden die Anfragen immer dringlicher. Bei vielen Klienten geht es um die nackte Existenz. Dadurch, dass die Preise Monat für Monat steigen, haben sie immer weniger Geld in der Tasche. Sie geraten mit der Miete in Rückstand. Können Strom oder Heizkosten nicht mehr zahlen. „Wegen dieser existenziellen Probleme nimmt auch der Druck auf uns zu“, sagt Petra Müller.

Auf 20 Berufsjahre kann die Schuldnerberaterin inzwischen zurückblicken. Nie, sagt sie, war die Arbeit so anspruchsvoll gewesen wie dieser Tage. Und zwar durch eine ungute Gemengelage. Zum einen steigt die Klientenzahl. Zum anderen verschärfen sich die Notlagen. Und zum dritten wird das System, in dem sich die Schuldnerberatung bewegt, immer komplizierter. Das belastet sowohl die Beratungskräfte als auch die Klienten.

Armen Bürgern fehlt nicht nur Geld. Sondern eklatant auch Wissen. So ist vielen unbekannt, dass sie im Pfändungsfall ihr Konto schützen müssen. Dringend gehandelt werden muss vor allem dann, wenn eine höhere Wohngeldnachzahlung aussteht. Wird das Konto gepfändet und trudelt das lang ersehnte Wohngeld nach einem halben Jahr plötzlich ein, und zwar gleich für zwei oder drei Monate, ist es oft ruckzuck weggepfändet. „Solche Fälle kommen uns immer wieder unter“, sagt Petra Müller.
Hinzu kommt eine nicht zu unterschätzende psychosoziale Problematik. Gerade älteren Menschen ist es fremd, um Sozialgeld zu „betteln“. „Die Hemmschwelle ist riesig“, bestätigt Robert Morfeld. Man will dem Staat nicht auf der Tasche liegen. Darum wächst vor allem die versteckte Armut.

Auch wenn in Würzburgs Lokalen immer etwas los ist und nach wie vor in den Geschäften eingekauft wird: Hinter den Kulissen schaut es nicht mehr gut aus. Das bereitet Petra Müller große Sorgen. Nahezu jeden Tag erfährt sie von beklemmenden Geschichten ihrer Klienten. Der Kühlschrank ist oft fast leer. Es wird am Essen gespart. „Ich hatte schon Klienten, die mir verrieten, dass sie manchmal tagelang nur Nudeln mit Tomatensoße essen“, so die Schuldnerberaterin.

Text: Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft

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