Bernds Rucksack ist nun federleicht

Das Würzburger Johann-Weber-Haus hilft obdachlosen Männern beim Fußfassen

Brigitte Abt vom Johann-Weber-Haus bespricht mit Bernd Höflich, wie es nach seinem Umzug ins Betreute Wohnen weitergeht. Foto: Günther Purlein

Würzburg. Schnappt sich Bernd Höflich (Name geändert) heute seinen großen Rucksack, um damit aus dem Haus zu gehen, ist der leer und federleicht. „Ich nehme ihn nur noch zum Einkaufen“, sagt der 39-Jährige. Das war lange anders gewesen. Wurde Bernd Höflich etwas zu viel, packte er den Rucksack und zog los. Irgendwohin. Bloß weg. Dass er diesem Drang nicht mehr kopflos nachgibt, hat er dem Würzburger Johann-Weber-Haus zu verdanken.

Im Herbst vergangenen Jahres kam Bernd Höflich in die Einrichtung der gemeinnützigen Christophorus-Gesellschaft. Es war nicht das erste Mal, dass er in einem Heim der Caritas und Diakonie Hilfe suchte. Sieben Einrichtungen für Wohnungslose hatte er zu diesem Zeitpunkt durch. Nie klappte es nach dem stationären Aufenthalt, sich irgendwo dauerhaft anzusiedeln. „Ich fand zwar immer Arbeit und Wohnung“, erzählt der Würzburger. Doch sobald es größere Probleme gab, vor allem am Arbeitsplatz, griff er wieder zum Rucksack. Landete er wieder auf der Straße. Bis er, in irgendeiner anderen Stadt, neuerlich versuchte, über eine Einrichtung Tritt zu fassen.

„Es ging immer zu schnell, von Null auf Hundert“, hat er inzwischen erkannt. Gestern noch lebte er in einer Einrichtung. Heute war er plötzlich wieder komplett für alles alleine verantwortlich. Mit dem fließenden Übergang aus der stationären Einrichtung in das Angebot „Wohnen mit Begleitung und Betreuung“ eröffnen sich für Bernd Höflich nun Zukunftsperspektiven. Er kann noch einmal versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen. Dabei wird er von Sozialarbeitern der Christophorus-Gesellschaft unterstützt. Mindestens einmal wöchentlich hat Höflich jemanden zum Reden. Das ist neu für ihn: „Ich hatte nie ein soziales Netz, musste immer alles alleine mit mir selbst abmachen.“

Für Bernd Höflich ist im Moment nicht das Wichtigste, Arbeit zu finden. Dass sich etwa auftut, sobald es ihm seelisch besser geht, daran hat er keine Zweifel. Höflich ist qualifiziert, zwei Berufsabschlüsse kann er vorweisen. Er arbeitet auch gerne. Was er nicht abkann: Tyrannische Chefs, die Dinge von ihm verlangen, die in seinen Augen nicht rechtens sind, sowie beruflicher Dauerstress. Beides kennt er zur Genüge. Stets waren es vor allem ungute Arbeitsbedingungen, die ihn zum Rucksack greifen ließen.

Seit Jahresbeginn trifft sich Bernd Höflich mit Menschen, die jeden Montag zwangslos miteinander Volleyball spielen. „Das gefällt mir, denn es gibt dort keinen Leistungsdruck“, sagt er. Der 39-Jährige, der nicht trinkt, nicht raucht und auch keinen Fernseher hat, will sich über diese Gruppe ein soziales Netz aufbauen. Auch einen biblischen Hauskreis hat er gefunden, der ihm guttut. Schließlich engagiert er sich ehrenamtlich bei der Caritas. All dies ist völlig neu für ihn.

Brigitte Abt, Leiterin des Johann-Weber-Hauses, bestätigt, wie wichtig es für ehemals Obdachlose ist, sich ein soziales Netz aufzubauen. Seit Höflichs Einzug in die Einrichtung der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft ist sie zur Stelle, wenn der ehemals Obdachlose jemanden braucht, mit dem er über all das reden kann, was er erlebt. Vor allem auch negative Erfahrungen werden reflektiert. Höflich lernt, bei Konflikten nicht mehr allem entnervt den Rücken zu kehren. Sondern zu versuchen, eine Lösung zu finden.

Warum er den starken Drang hat, abrupt alle Brücken abzubrechen, weiß Bernd Höflich selbst nicht genau. Wahrscheinlich hat das mit seinem Elternhaus zu tun: „Dort ging es mir nicht gut.“ Beide Eltern tranken. Jeden Abend. Beide tranken immens. Fast täglich gab es Streit. Oft hagelte es Prügel. Schon mit 18 Jahren hatte Bernd Höflich die Schnauze voll: „Ich schnappte mir meinen Rucksack und ging für dreieinhalb Jahre nach Frankreich.“ Die Lehre ließ er Lehre sein. Alles war ihm egal gewesen: „Hauptsache weg.

Nun lautet sein Motto: „Hauptsache, bleiben.“ Auch wenn es mal schwierig wird und der Rucksack lockt. Höflich will nicht wieder auf der Straße landen und zum neunten Mal von vorn beginnen müssen.

Günther Purlein

Zurück