Damit Resozialisierung gelingt

Erfolgreicher Fachtag „Psychische Erkrankungen bei straffällig gewordenen Menschen“

Sozialarbeiter für bessere Unterstützung seelisch kranker Straftäter. V.l.n.r.: Julia Hoffmann, Joachim Storch, Helga Hörterer, Dr. Alfred Schubert, Holger Faust, Holger Schubert, Heike Schiller-Sauvant und Werner Schühler. Bild: Günther Purlein

Würzburg. Mit „Haus K“ hat die Würzburger Justizvollzugsanstalt (JVA) eine besondere Einrichtung. Hier werden Menschen behandelt, die während der Haft schwer depressiv wurden, die Suchtprobleme haben oder an Psychosen leiden. Eine Herausforderung stellt das Übergangsmanagement dieser Gefangenen dar, hieß es beim Würzburger Fachtag „Psychische Erkrankungen bei straffällig gewordenen Menschen“ am 21. Oktober im Caritashaus der Diözese Würzburg.

Domkapitular Clemens Bieber begrüßte die  über 100 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter aus ganz Nordbayern, die an der vom Würzburger Arbeitskreis „Übergang und Vernetzung in der Straffälligenhilfe“ organisierten Veranstaltung teilnahmen. „Wir wollen psychisch erkrankten Straftätern besser gerecht werden“, erläuterte Werner Schühler, Leiter der Zentralen Beratungsstelle für Strafentlassene der Christophorus-Gesellschaft Würzburg. Der Fachtag informierte über Versorgungslücken, außerdem gab es Informationen zur Häufigkeit psychischer Erkrankungen in der JVA und zur Verbreitung neuer psychoaktiver Substanzen.

Wie die Tagungsteilnehmer feststellten, fehlt eine klare wissenschaftliche Basis zur Frage, wie viele Inhaftierte eigentlich psychische Probleme haben. ?Die bisher vorliegenden Zahlen sind unbefriedigend, schwanken sie doch zwischen 10 und 70 Prozent. Ohne belastbare Zahlen und Statistiken kann jedoch nicht damit argumentiert werden, dass Mittel fehlen. Wobei die Erfahrung zeigt, dass es ?innerhalb und außerhalb des Vollzugs viel zu wenige Therapeuten gibt, die bereit und in der Lage sind, sich mit psychisch kranken Gefangenen auseinanderzusetzen.

Im Würzburger „Haus K“ stehen laut Joachim Storch von der JVA gerade einmal 46 Therapieplätze zur Verfügung, wobei nicht nur Häftlinge aus Würzburg aufgenommen werden. „Wir sind für alle männlichen Gefangenen in Nordbayern, für junge Strafgefangene aus verschiedenen bayerischen Jugendstrafanstalten sowie für alle weiblichen Häftlinge im Freistaat verantwortlich“, sagt Storch.

Drei Wochen dauert die Krisenintervention im Durchschnitt. Danach werden die Gefangenen zurückverlegt. Schwierig sei das Übergangsmanagement vom Vollzug in die Freiheit, bestätigte Storchs Kollegin Julia Hoffmann. „Wir bräuchten für Strafgefangene, die unter schweren Depressionen, Psychosen, Persönlichkeitsstörungen oder Suchterkrankungen leiden, viel mehr spezialisierte Einrichtungen“, so die Sozialpädagogin.

Nach Ansicht der Tagungsteilnehmer sollte es eine Erhebung geben, in welchen Einrichtungen bei bestimmten Diagnosen eine Unterbringung möglich ist. Die Politik müsse außerdem viel mehr Geld für eine bessere Begleitung psychisch kranker Menschen nach der Haft in die Hand nehmen, da der Betreuungsaufwand sehr hoch ist. Der Übergang aus der Haft müsste besser und rechtzeitiger geplant werden, damit psychisch kranke Haftentlassene möglichst nicht in eine Versorgungslücke fallen.? Hierzu gehört, die Bewährungshilfe rasch über die Entlassung zu informieren.

Alles in allem geht es immer um die Vermeidung weiterer Straftaten und den Schutz der Allgemeinheit.

Psychische Erkrankungen von Straftätern stärker in den Blick zu nehmen, ist nach Auffassung von Alfred Schubert, Psychiater aus Mittelfranken, essenziell, um eine Hauptverpflichtung des Justizvollzugs zu erfüllen: „Nämlich die Resozialisierung.“ Die aktuelle Situation ist  für Schubert unbefriedigend. „Psychisch kranke Gefangene sitzen jahrelang in Haftanstalten herum, ohne dass an ihrer Problematik gearbeitet wird“, so der ehemalige Vorsitzende des Bündnisses gegen Depression im Nürnberger Land. Die Drogensprechstunden seien für sie oft die einzige Möglichkeit, über das zu reden, was sie belastet.

Diese Sprechstunden werden in Würzburg vom Team der städtischen Drogenberatungsstelle angeboten. Die Mitarbeiter haben es inzwischen nicht mehr nur mit Konsumenten illegaler Drogen wie Kokain und Heroin zu tun. Immer häufiger beraten sie Klienten, die sich mit neuen psychoaktiven Substanzen berauschen.

Unter den rund 1.000 Ratsuchenden waren letztes Jahr etwa 70 „Legal Highs“ - Konsumenten, berichtete Einrichtungsleiter Holger Faust. Der Gebrauch dieser vermeintlich legalen Drogen kann nach seinen Worten gravierende Folgen haben: „Alle unsere Klienten zeigen große Unruhe, manche müssen wegen psychotischer Erscheinungen in die Klinik eingeliefert werden.“

Für die anwesenden Sozialarbeiter, die ebenfalls immer häufiger mit „Legal Highs“ - Konsumenten zu tun haben, war es interessant, zu erfahren, wie das Team der Drogenberatungsstelle diesen Klienten hilft. So wurde 2008 das Programm „Realize it!“ implementiert. Anfangs richtete es sich ausschließlich an Cannabiskonsumenten zwischen 15 und 30 Jahren, heute nehmen auch Konsumenten von Kräutermischungen teil. Viele konsumieren exzessiv. Faust: „Es gibt Leute, die 30 Mal am Tag Kräutermischungen rauchen.“

Das Programm erstreckt sich über zehn Wochen. In dieser Zeit arbeiten die Teilnehmer daran, ihren Konsum einzustellen oder zu reduzieren. „Dazu führen sie ein Konsumtagebuch“, erläuterte Faust. Jeder Klient definiert neben dem Hauptziel „Abstinenz“ oder „Konsumreduktion“ Unterziele, die von Sitzung zu Sitzung erreicht werden sollen. Dabei spielen drogenfreie Freizeitaktivitäten eine große Rolle: „Ein Unterziel kann sein, mal wieder zum Fußballplatz zu gehen.“ Im Zwei-Wochen-Rhythmus wird reflektiert, was hilfreich war, um das Ziel zu erreichen, oder warum es zum Scheitern kam.

153 Klienten wurden bisher ins Programm aufgenommen, 63 schlossen es ab – was in der Drogenhilfe eine gute Quote ist. Sechs Monate nach Abschluss von „Realize it!“ hatten es 55 Prozent der Teilnehmer geschafft, ihren Konsum zu reduzieren oder abstinent zu werden.

Problematisch ist nach Ansicht der Tagungsteilnehmer, dass viel zu wenig Drogenprävention geleistet wird. Auch hier, so das Fazit am Ende der Veranstaltung, müsste viel mehr Geld investiert werden, um Jugendliche mit altersgerechten Methoden und Konzepten für einen verantwortungsvollen und reflektierten Umgang mit Rauschmitteln zu sensibilisieren.

Günther Purlein

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