Die Finanzen wieder im Griff

„Aktionswoche Schuldnerberatung“ steht unter dem Motto „Wege aus den Schulden“

Manchmal, so Nadia Fiedler, begleiten die Mitarbeiter der Schuldnerberatungsstelle die Klienten auf langen Wegen aus den Schulden. Bild: Günther Purlein

Holger S. hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. Nie zuvor war er in einer Schuldnerberatungsstelle gewesen. Er befürchtete, gerügt zu werden. Sich rechtfertigen zu müssen. Denn er hatte beträchtliche Schulden angehäuft. Vermutlich würde die Beraterin mit ihm über Zahlen diskutieren. Doch dann kam alles anders. „Sagen Sie, wie ist es denn eigentlich zu den Schulden gekommen?“, fragte ihn Nadia Fiedler von der Schuldnerberatung der Würzburger Christophorus-Gesellschaft ganz ohne Vorwürfe.

„Die Menschen kommen oft mit Ängsten oder Schuldgefühlen zu uns“, erklärt die Einrichtungsleiterin anlässlich der „Aktionswoche Schuldnerberatung“, die in diesem Jahr vom 4. bis 8. Juni unter dem Motto „Weg mit den Schulden“ steht. Deutschlandweit machen Schuldnerberatungsstellen an diesen fünf Tagen darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, dass jeder Mensch, unabhängig von seinem Wohnort und unabhängig von seinem Einkommen, Zugang zu einer sozial ausgerichteten Schuldnerberatung erhält. Dies wird sogar zunehmend wichtiger, denn die Zahl der Überschuldeten steigt. Mehr als jeder zehnte Erwachsene ist mittlerweile betroffen.

„Auch wir erleben einen kontinuierlichen Anstieg“, sagt Fiedler. Um die 700 Menschen aus Stadt und Kreis Würzburg ließen sich im vergangenen Jahr von ihr und ihren fünf Kollegen beraten. Ein Teil davon schildert inzwischen online seine Probleme. Viele Verschuldete nutzen das Angebot der offenen Sprechstunde am Donnerstag: „Das Wartezimmer ist jedes Mal voll.“

Warum Menschen irgendwann auf einem Schuldenberg sitzen, hat völlig unterschiedliche Gründe. Holger S. zum Beispiel, heute 30 Jahre alt, verschuldete sich bereits mit 18 Jahren. Damals schloss er einen Handyvertrag ab, ohne die finanziellen Mittel zu haben. Mit Geld umzugehen, hatte der suchtkranke Klient von Nadia Fiedler nie gelernt. Im Laufe der letzten Jahre türmte sich deshalb ein Schuldenberg von 100.000 Euro auf.

Holger S. konnte seine Versicherungen nicht mehr zahlen. Die Briefe mit den Rechnungen von Versandhändlern, bei denen er Waren bestellt hatte, blieben monatelang ungeöffnet auf dem Schreibtisch liegen. Hinzu kamen Unterhaltsschulden. Außerdem wurde Holger S. mehrfach beim Schwarzfahren erwischt.

Nadia Fiedler fragte den Klienten, wie das früher in seiner Familie war. Darüber hatte sich Holger S. schon lange keine Gedanken mehr gemacht. Nun begann er, von seinen Eltern zu erzählen. Vom Vater, der viel zu viel getrunken hatte. Der dann, wenn er betrunken war, schon auch mal zuschlug. Geld war in der Familie immer knapp gewesen. Soweit sich Holger S. entsinnen konnte, hatte auch sein Vater immer gern ausgegeben, was er gar nicht besaß. Nadia Fiedler hat oft mit Klienten zu tun, die nicht behütet aufwuchsen. „Sie erlitten häusliche Gewalt oder wurden sexuell missbraucht, was jedoch nie jemand gesehen hat oder sehen wollte“, erklärt sie. Aus diesem Grund vermittelte auch niemals jemand in eine Therapie.

Die Sozialrechtlerin wird jedoch nicht nur mit solchen schwierigen Schicksalen konfrontiert. Selbst wohlsituierte Leute können plötzlich in Schulden stürzen. So begleitet sie derzeit die Witwe eines leitenden Bankangestellten, der wenige Jahre nach seinem Ruhestand gestorben war. Der Mann hatte sämtliche finanzielle Aufgaben übernommen. Sein Tod ließ die Gattin hilflos zurück. Sie wusste nicht, wie man Geldgeschäfte tätigt. Plötzlich wurde ihr die Wohnung gekündigt, weil sie die Miete nicht mehr überwiesen hatte. Zu den Mietschulden kamen Schulden beim Stromlieferanten.

Gewerbliche Schuldenregulierer kümmern sich ausschließlich darum, dass ein Mensch möglichst rasch seine Schulden los wird. Psychosozial ausgerichteten Einrichtungen wie die Schuldnerberatung der Christophorus-Gesellschaft geht es darum, den Menschen zu helfen, künftig schuldenfrei zu leben. Dies wiederum gelingt nur, wenn die oft völlig verzweifelten Klienten emotional stabilisiert sind. „Wir versuchen, die Menschen aufzubauen“, unterstreicht Fiedler.

Ihr großer Wunsch anlässlich der „Aktionswoche Schuldnerberatung“ wäre es, mehr staatliche Mittel und damit mehr Personal für Prävention zur Verfügung zu haben. Denn viele Menschen ahnen nicht, wie leicht es ist, sich zu verschulden. Wünschenswert wäre weiter, Personal zur engmaschigen Begleitung einiger Klienten mit besonderer psychosozialer Problematik zu haben. Vor allem Verschuldete mit einer seelischen Erkrankung könnten davon profitieren, wenn jemand regelmäßig, mit Blick auf ihre ökonomische Situation, mit ihnen Kontakt hält.

Deutschlandweit kämpfen Schuldnerberatungsstellen auch dafür, dass nicht nur Menschen, die auf Sozialhilfeniveau leben, beraten werden. Denn vielerorts sind die Türen der Einrichtungen Verschuldeten mit regulärem Einkommen verschlossen. „Das ist bei uns in Würzburg nicht so“, betont Fiedler. Was daran liegt, dass es sich bei der Würzburger Beratungsstelle um eine kirchliche Einrichtung handelt. Caritas und Diakonie finanzieren den Dienst mit.

Günther Purlein

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