Durch zu viele Klicks Inkasso

„Aktionswoche Schuldnerberatung“ findet in diesem Jahr vom 10. bis 16. Juni statt

Robert Morfeld von der Schuldner- und Insolvenzberatung der Christophorus-Gesellschaft berät immer häufiger Klienten, die sich durch Einkäufe im Internet verschuldet haben. Foto: Stefan Hohnerlein

08.05.2024

Das blaue Sommerkleid - klick. Die coole Lederjacke - klick. Zwei Döschen Creme und ein Parfüm, das sonst viel teurer ist - klick. Sandra H. (Name geändert) liebt es, abends auf der Couch zu lümmeln und im Internet auf Entdeckungstour durch die Warenwelt zu gehen. Über die Päckchen, die eintrudeln, freut sie sich. Gezahlt wird später. Oder in Raten. Das ging auch lange gut. „Doch irgendwann verlor sie den Überblick“, sagt Robert Morfeld, Schuldnerberater der Würzburger Christophorus-Gesellschaft.

Sandra H. ist kein Einzelfall. Immer mehr Klienten der von Robert Morfeld geleiteten Schuldner- und Insolvenzberatung kommen nicht mehr, wie bisher, deshalb, weil ein Hauskredit geplatzt ist. Oder weil sie die Raten für das Auto nicht mehr zahlen können. Oder weil das Geld für die Handy-Rechnung nicht reicht. „Das waren bisher unsere klassischen Themen“, so der Sozialpädagoge.

Diese Ursachen für eine mitunter hohe Schuldenlast bestehen zwar weiter. Doch immer öfter kommen neue Schulden durch Interneteinkäufe hinzu. Nie war es so einfach, etwas zu bestellen. Nie war die Auswahl größer. Das meiste kann auf Raten bezahlt werden. Die Ratenbeträge erscheinen klein. Scheinen bezahlbar. Doch sie läppern sich. Irgendwann sind Monat für Monat sehr viele kleine Ratenbeträge zu stemmen. Irgendwann geht das nicht mehr. Denn das Konto ist hoffnungslos überzogen. Große Online-Händler jedoch fackeln nicht lange. Flugs wird ein Inkassobüro eingeschaltet.

Weil die Thematik so brisant ist, widmet die bundesweite Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung die diesjährige „Aktionswoche Schuldnerberatung“ vom 10. bis 16. Juni diesem Thema. „Buy now, Inkasso später“ lautet das Motto. Deutschlandweit, heißt es in der Ankündigung, waren im vergangenen Jahr laut Schuldneratlas der Creditreform 8,15 Prozent aller privaten Haushalte überschuldet. Der Trend, von zu Hause aus per Tablet oder Handy zu shoppen, hat daran einen erklecklichen Anteil.

Sandra H. gehört nicht zu den klassischen Klienten der Würzburger Schuldner- und Insolvenzberatung. Sie hat einen guten Job. Und wird sogar recht üppig entlohnt. Zum Verhängnis wurde ihr jedoch in letzter Zeit, dass ihr das, was sie in den vergangenen Monaten im Internet bestellt hat, aus dem Blick verlor. Zahlungstermine überschnitten sich. Ständig war das Girokonto überzogen. Überziehungszinsen fielen an. Und dann wurde auch noch ein hoher Beitrag für eine Versicherung fällig. Plötzlich fand sich Sandra H. in einem Schuldenkarussell wieder. „Sie begann, Löcher zu stopfen, wodurch neue Löcher entstanden sind“, berichtet Robert Morfeld.

Wer früher etwas einkaufen wollte, musste sich nach den Öffnungszeiten der Läden richten. Heute bestellt vor allem die jüngere Generation unter Verwendung eines der zahlreichen Bezahldienste rund um die Uhr im weltweiten Netz. „Das geschieht mitunter allzu sorglos“, sagt Robert Morfeld. Es bräuchte nach seiner Ansicht dringend mehr finanzielle Bildung. Auch dafür tritt die diesjährige „Aktionswoche Schuldnerberatung“ ein.

Mehr Finanzbildung wäre vor allem deshalb wichtig, weil das Kaufverhalten der Menschen im Internet durch fragwürdige, wenngleich legale Methoden künstlich befeuert wird. „Man tut zum Beispiel so, als wären die Waren vermeintlich knapp“, sagt Robert Morfeld. Von diesem oder jenem Produkt, wird zum Beispiel informiert, seien nur noch zwei Artikel vorrätig. Es heißt also, schnell zu sein, um die begehrte Ware zu ergattern.

Nicht selten wird auch aggressiv mit angeblich exklusiven Angeboten geworben. Oder es gibt ein Produkt zum vermeintlich extrem günstigen Preis nur in einem begrenzten Aktionszeitraum. Man klickt. Und klickt. Füllt den virtuellen Warenkorb. Kann am Ende aber nicht zahlen. Und ist plötzlich mit einem Inkassounternehmen konfrontiert. Nicht zuletzt dies treibt die Kosten und damit die Schulden in die Höhe.

Durch Veranstaltungen oder Schulbesuche über all dies aufzuklären, wäre immens wichtig, so Robert Morfeld: „Allerdings haben wir nicht die Ressourcen, um dies zu tun.“ Alle Kraft des Teams fließt in die Beratung überschuldeter Menschen aus Stadt und Landkreis Würzburg. Deren Zahl steigt krisenbedingt an. 1.381 Klienten wurden im vergangenen Jahr beraten. 2019, vor dem Ausbruch der Corona-Krise, waren es erst 1.249. Das bedeutet eine Steigerung von ziemlich genau zehn Prozent. Bewältigt werden muss der Zuwachs ohne Personalmehrung. Was dazu führt, dass die Wartezeit auf den Beginn der Beratung im Augenblick acht Wochen beträgt.

Es gilt sprichwörtlich als „Armutszeugnis“, nicht gut mit dem eigenen Geld umgehen zu können. Der Gang zur Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen ist deshalb oft mit dem Gefühl von Scham verbunden. Robert Morfeld und seine Kollegen vermitteln ihren Klienten jedoch niemals, sie seien „schuld“ an ihren Schulden.

Die Beratung beginnt damit, dass die aktuelle Finanzsituation unter die Lupe genommen wird. „Wir machen eine Einnahmen- und Ausgabenanalyse“, erläutert Robert Morfeld. Wie kam es ganz genau zu den Schulden? Wo liegen die tieferen Ursachen? Der Schuldnerberater spricht mit seinen Klienten über deren Kaufverhalten. Und er hilft, einen Budgetplan aufzustellen. Sandra H. befreite dieses Vorgehen von dem Gefühl, im Chaos zu ertrinken. Voller Erleichterung stellt sie fest, dass es einen Ausweg aus ihrer Misere gibt.

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