Eine Frau unter „wilden“ Kerlen
Kirsten Käppner ist seit einem guten Jahr in der Kurzzeitübernachtung tätig
Manche der Männer sind seit schon seit zwanzig Jahren auf Achse. Manche weit gereist. Die waren sogar schon in Amerika. Aber normalerweise tingeln die Menschen, die zu Kirsten Käppner in die Würzburger Kurzzeitübernachtung kommen, innerhalb von Süddeutschland von Stadt zu Stadt. Einmal im Monat besuchen sie in der Regel die Einrichtung der Christophorus-Gesellschaft in Würzburg.
Wenn Käppner um 18 Uhr Einlass gewährt und es kommen neue Männer an, wird manchmal über ihren Kopf hinweg gefragt: „Sag mal, wo ist denn der Chef?“ Denn es ist äußerst ungewöhnlich, dass eine Frau in einer Herberge für Obdachlose arbeitet. Die resolute Würzburgerin macht das schon seit fünfzehn Monaten. Von früheren Jobs brachte sie viel Erfahrung mit, was nächtliches Arbeiten mit Menschen ganz unterschiedlicher Couleur anbelangt: „Ich war lange in Tankstellen tätig.“ Auch auf einer Autobahn. Und oft auch nachts.
Käppner begann ohne Angst und Vorbehalte im Spätsommer letzten Jahres ihren Dienst. Bis heute ist ihr noch nichts passiert. Jedenfalls nichts Gravierendes. Einmal kam ihre Brille zu Schaden. Aber nicht, weil jemand sie geschlagen hätte. „Ich habe einen kollabierten Obdachlosen wiederbeleben müssen“, sagt sie. Als er zu sich kam, begann er, sich heftig zu bewegen. Dabei ging die Brille futsch.
Hat Käppner Dienst, begibt sie sich am späten Nachmittag in die Kurzzeitübernachtung gegenüber des Hauptbahnhofs. Dann wird Kaffee gekocht und alles für die Ankunft der Männer vorbereitet. Wie viele Gäste kommen, welche Gäste kommen – wie soll sie das wissen, es meldet sich ja niemand an. „Jeder Abend ist anders“, sagt die 46-Jährige, der man anmerkt, dass sie in ihrer neuen Tätigkeit aufgeht. Obwohl der Job schlaucht. Denn nach 22 Uhr kann sich Käppner zwar zurückziehen. Aber selten sind die Nächte ruhig.
Jemand ruft zum Beispiel, weil es ihm schlecht geht. Die Polizei meldet sich. Sie bringt nach 22 Uhr noch einen Mann, der dringend ein Bett braucht. Oder die Bahnhofsmission läutet an. Dort werden nachts nur Frauen aufgenommen. Benötigt ein Mann ein Dach über dem Kopf, wird er zur Übernachtung in die Wallgasse geschickt.
Es gibt Nächte, da schläft Käppner gar nicht. Trotzdem macht sie morgens gut gelaunt Frühstück. Sie weckt die Männer, damit sie sich für den Tag stärken können. Um halb acht geht sie. Dann müssen auch die Männer wieder auf die Straße. Und es beginnt ein neuer Tag, den die Obdachlosen irgendwie herumbringen müssen. Wenn es so kalt ist wie derzeit, stromern sie durch die Geschäfte. Solange sich halt niemand beschwert. Käppner: „Oft werden sie verjagt.“
Fast alle Männer hatten ein besseres Leben gekannt. An einer von drei Klippen sind sie gescheitert, erzählt Käppner: Job, Beziehung oder Alkohol. Ob sie zuerst so viel getrunken haben, dass die Frau sie verließ und der Job danach flöten ging, oder ob die Frau sie verlassen hat, sie danach begannen, zu trinken, und den Job verloren, oder ob am Anfang der Jobverlust stand – egal. Auf jeden Fall spielen sich die Dramen meist in diesem Dreieck ab.
Manche Männer sind erst frisch obdachlos. Die Freundin schmiss sie raus. Oder die Polizei verbot ihnen, sich der Wohnung der Frau anzunähern, weil sie gewalttätig wurden. Andere leben seit Jahren auf der Straße. Sie schlafen, wenn sie nicht gerade in einer Herberge sind, am Bahnhof oder im Parkhaus, in Hauseingängen oder auf Parkbänken. Etliche wurden schon mal ausgeraubt. Oder verprügelt. Viele schlafen in Schuhen. So kann man sie ihnen nicht entwenden.
20 Betten stehen für die Männer in der Kurzzeitübernachtung zur Verfügung. Ist nicht viel los, kann man das Glück haben, alleine in einem Zimmer zu sein. Manchmal muss man aber auch zu dritt in einem Raum übernachten. Bevor es ins Bett geht, können die Männer duschen. Käppner: „Wir stellen Handtücher, Duschgel und Rasierer.“ Manchmal fordert sie einen der Männer mit weiblichem Charme auf, sich doch in den Duschraum zu begeben. Denn alles deutet darauf hin, dass sich dieser Mensch seit Tagen nicht mehr gewaschen hat.
Sie habe großen Respekt vor den Männern, sagt Kirsten Käppner. Vor deren täglichem Überlebenskampf. Viele beginnen irgendwann, mit ihr zu reden. Für die gelernte Friseurin sind das jedes Mal wieder berührende Momente, wenn ein „wilder Kerl“, der sich „draußen“ nichts gefallen lässt, bei ihr sein Herz ausschüttet.