Eiskalte Nächte im Auto

Jeder vierte Besucher der Bahnhofsmission hat inzwischen einen Migrationshintergrund

Ulrike Siethoff von der Bahnhofsmission erkundigt sich bei Besucherin Elfriede Helfrich, wie es ihr seit dem letzten Treffen ergangen ist. Bild: Günther Purlein

Würzburg. „Das ist aber schön, Sie mal wieder zu sehen! Wie geht es Ihnen denn?“ Ulrike Siethoff, hauptamtliche Mitarbeiterin der Bahnhofmission, setzt sich zu Elfriede Helfrich an den Tisch. Die 83-jährige Seniorin ist ein häufiger Gast der ökumenischen Einrichtung. Immer, wenn sie in die Stadt kommt, trinkt sie hier Tee. In ein Café könnte die dreifache Mutter nicht gehen. Dazu reicht ihre Minirente nicht aus. Mit wem sollte sie sich aber auch im Café treffen? „Ich habe nicht mehr viele Menschen“, sagt sie leise.

Elfriede Helfrich gehört zur wachsenden Zahl von Männern und Frauen, die in der Bahnhofsmission Hilfe suchen. Knapp 41.400 Mal wurde die Einrichtung der gemeinnützigen Christophorus-Gesellschaft im vergangenen Jahr kontaktiert. „Das waren um die 1.000 Kontakte mehr als im Jahr zuvor“, sagt Einrichtungsleiter Michael Lindner-Jung. Dass die Zahlen steigen, liegt nicht zuletzt an Menschen, die aus anderen Ländern nach Würzburg kommen. Fast 10.000 Mal wurde die Bahnhofsmission 2015 von Männern und Frauen mit Migrationshintergrund aufgesucht. Darunter waren sowohl Menschen aus den neuen EU-Staaten als auch Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea oder Afghanistan.

Aktuell hat es die Bahnhofsmission mit zwei rumänischen Frauen zu tun, die vor kurzem mit ihrem Auto nach Würzburg gefahren sind. Beide hatten sich in ihrem Heimatland umsonst nach einem auskömmlichen Job umgetan. In Deutschland, hatten sie gehofft, würde es ihnen endlich gelingen, Arbeit zu finden. Doch die Hoffnungen stellten sich als trügerisch heraus. Beide suchten bisher vergebens nach einer Stelle.

„Seit Tagen übernachten sie im Auto“, schildert Lindner-Jung. Eine der Frauen ist krank. Doch weil sie in Deutschland nicht versichert sind, wird es schwierig, Hilfe zu organisieren. Lindner-Jung: „Die einzige Möglichkeit ist die ehrenamtliche Arztsprechstunde in der Wärmestube.“ Dorthin wurden die Frauen auch vermittelt.

Die Flüchtlinge sowie die aus den neuen EU-Ländern stammenden Besucher verändern die Arbeit der Bahnhofsmission, sagt Lindner-Jung. Die alteingesessenen Klienten, also deutsche Wohnungslose oder deutsche Männer und Frauen in prekären Lebensumständen, sind seit Jahren in Würzburg integriert. Zwar leben die meisten aufgrund ihrer materiellen Not, so wie Elfriede Helfrich, am gesellschaftlichen Rand. Dennoch gibt es für sie ein soziales Netz.

Wer in Würzburg obdachlos wird, hat Anspruch auf eine Verfügungswohnung. Die allermeisten Würzburger Gäste der Bahnhofsmission sind krankenversichert und bekommen eine finanzielle Mindestleistung zum Leben. Alles dies trifft auf die Gäste, die aus Rumänien oder Bulgarien stammen, nicht zu. Lindner-Jung: „Hier haben wir mit hohen Erwartungen bei gleichzeitig vergleichsweise wenigen Hilfsmöglichkeiten zu tun.“ Die Bahnhofsmission kann schließlich weder einen Job nach eine Wohnung organisieren. Meist ist nur eine Notversorgung mit Lebensmitteln, Decken und Hygieneartikeln möglich.

Über die wachsende Zahl von Asylbewerbern und Menschen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten vergessen die Haupt- und Ehrenamtlichen aber keineswegs die Besucher, die seit Jahren in die Christophorus-Einrichtung kommen. Sie werden weiterhin genauso intensiv beraten und unterstützt. Im Übrigen hat sich auch die deutsche Klientel der Bahnhofsmission laut Lindner-Jung verändert: „Im vergangenen Jahr wuchs die Zahl der Jugendlichen, die zu uns kamen, auffällig stark an.“

Das Team der Bahnhofsmission möchte allen Gästen gerecht werden. Aus diesem Grund wird derzeit auch versucht, ein „Interkulturelles Ehrenamtlichenteam“ aufzubauen. Vor allem Freiwillige, die rumänisch oder arabisch sprechen, sind willkommen: „Eine rumänischsprachige Ehrenamtliche haben wir bereits, sie ist sehr hilfreich, denn viele unserer Gäste aus Rumänien sprechen kein Deutsch.“

Noch etwas plant die Bahnhofsmission für dieses Jahr: Mit Tanja Mühling, Professorin an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Würzburger Hochschule, soll ein Forschungsprojekt zur Besucherzufriedenheit gestartet werden. Im Sommersemester wollen Studierende die Gäste der Bahnhofsmission befragen, was ihnen an der Einrichtung am Hauptbahnhof gut gefällt, womit sie aber vielleicht auch nicht so zufrieden sind. Das Team der Bahnhofsmission ist schon auf das Ergebnis gespannt.

Günther Purlein

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