Elf Jahre, die bereichernd waren

Silvana Esposito Kemper setzt sich seit 2008 als Ehrenamtliche für die Wärmestube ein

Silvana Esposito Kemper weist einen Besucher der Wärmestube auf Anlaufstellen in Würzburg hin. Bild: Günther Purlein

In der Würzburger Wärmestube sah Silvana Esposito Kemper eine Chance, endlich einmal konkret etwas gegen soziale Not zu tun. „Mit hat es einfach nicht mehr genügt, nur Geld zu spenden“, erzählt sie. Ein Zeitungsartikel brachte sie 2008 auf die Idee, sich in der Wärmestube zu engagieren. Die vergangenen elf Jahre, so die promovierte Germanistin, haben sie verändert: „Was ein ‚Problem‘ ist und was nicht, hat sich für mich angesichts der großen Not, die ich kennen gelernt habe, deutlich relativiert.“

Silvana Esposito Kemper nimmt ernst, was in der Bibel steht. Christliche Werte sind der Katholikin wichtig. „Auch aus diesem Grund habe ich mich auf das Ehrenamt eingelassen“, erzählt die 59-jährige Dolmetscherin. In den vergangenen elf Jahren lernte Kemper Menschen kennen, die das, was die Bibel „Nächstenliebe“ nennt, dringend nötig haben. Viele Besucher der Wärmestube wohnen zum Beispiel in prekären Verhältnissen. Die meisten besitzen keinen einzigen engen Freund. Viele haben psychische Probleme. „Was die Gesellschaft fordert, das können sie einfach nicht leisten“, betont Christian Urban, der die Einrichtung der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft leitet.

Dass es aktuell viele offene Stellen gibt, sei ja durchaus richtig, räumt Urban ein. Doch selbst ein 450-Euro-Job als Aushilfe in der Gastronomie ist für die Leute, die, teilweise jeden Tag, in die Wärmestube kommen, nicht machbar. Das sei wie bei Menschen, die blind wurden: „Die beste Konjunktur kann sie nicht sehend machen.“ Die Besucher der Wärmestube sind, nicht selten durch frühe Traumatisierungen, häufig seelisch lädiert: „Auch ihnen nützt eine gute wirtschaftliche Konjunktur nichts, sie können aufgrund ihrer Beeinträchtigungen keiner regelmäßigen Arbeit nachgehen.“

Auf das Angebot der Wärmestube gehen die Männer und Frauen gerne ein. Hier, sagen viele von ihnen, ist der einzige Ort, an dem sie ernst genommen werden. Die Besucher ernst nehmen, egal, wie „sonderbar“ sie sich verhalten, ist auch Silvana Esposito Kempers Anliegen. Ruhig hört sie sich Geschichten an, von denen sie nicht immer sicher ist, dass sie stimmen. „Ein Besucher erzählt mir oft von seiner Tochter, aber wer weiß, ob die überhaupt existiert“, schildert sie. Vielleicht lebt der Mann im Gespräch mit ihr seine Fantasie einer guten Vater-Tochter-Beziehung aus. Aber das ist egal. Die Geschichte ist für den Besucher offenbar wichtig. Und darum hört ihm Kemper zu.

Denkt Silvana Esposito Kemper an die letzten Jahre zurück, werden viele Episoden lebendig. Einige lustige. Viele, die unter die Haut gehen. Und viele, die schlicht ungewöhnlich sind. „Kürzlich hat mich zum Beispiel jemand gebeten, für ihn eine Telefonnummer zu tippen, er konnte das nicht“, erzählt die gebürtige Italienerin. Anscheinend war der Mann ein Zahlenanalphabet. Damit hatte die Ehrenamtliche noch nie zu tun gehabt. Überhaupt wird sie durch ihr Engagement ständig mit Neuem konfrontiert: „Das macht mein Ehrenamt so bereichernd.“ Ohne die Wärmestube, lacht die Germanistin, hätte sie sicher auch niemals Rommé spielen gelernt.

In den letzten Jahren hat sich Kemper zahlreiche Male gefragt: Was ist wohl im Leben dieses oder jenes Menschen schiefgelaufen, so dass er nun hier bei uns ist? Gerade bei jungen Besuchern treibt sie diese Frage um. Doch sie behält sie für sich. Kein Besucher wird „gelöchert“. Wobei viele Gäste das Bedürfnis haben, ihr Herz auszuschütten. „Gerade jetzt im Winter, wo jeden Tag bis zu 80 Menschen zu uns kommen, können wir Hauptamtliche dieses Bedürfnis oft nicht im gewünschten Umfang erfüllen“, sagt Urban. Ehrenamtliche wie Silvana Esposito Kemper seien aus diesem Grund unersetzlich.

Dass sie immer einen Hauptamtlichen um Rat fragen kann, wenn sie einmal nicht weiterweiß, schätzt Silvana Esposito Kemper sehr: „Wir sind niemals alleine im Dienst.“ Sowohl Haupt- und Ehrenamtliche bilden ein Team, das an einem Strang zieht, bestätigt Christian Urban. Insgesamt 30 Freiwillige sind derzeit im Einsatz. Das reicht für die Schichten unter der Woche gut aus. Allerdings wird es am Wochenende oft eng: „Wir würden uns zwei weitere Ehrenamtliche wünschen, die bereit sind, am Sonntagvormittag in der Wärmestube mitzuhelfen.“

Gerade für die Winterzeit wäre außerdem eine weitere pädagogische Hilfskraft notwendig. Dafür sammelt die Wärmestube auf der Plattform „Betterplace“ gerade Spenden ein. Fast 3.000 Euro sind schon zusammen, 4.000 Euro fehlen noch. Spenden sind außerdem für Einwegrasierer und Kaffee erwünscht. Über 5.000 Einwegrasierer werden jährlich an die Besucher verteilt. Wer spenden möchte, kann dies über https://www.betterplace.org/de/projects/73381-winter-is-coming-spende-fur-obdachlose-warmestube-wurzburg tun oder über unser Spendenkonto „Weihnachten 2019“ für die Christophorus-Gesellschaft bei der Sparkasse Mainfranken: DE08 7905 0000 0045 0297 25

Günther Purlein

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