Endlich wieder sicher und selbstbestimmt leben

Housing First-Projekt NOAH vermittelt Obdachlose dauerhaft in Wohnraum

Das Team des neu geschaffenen Housing First-Projektes von links nach rechts: Adrian Jimenenz, Jan Bläsing und Sabine Märkle
Das Team des neu geschaffenen Housing First-Projektes (v.l.n.r.):Adrian Jimenenz, Jan Bläsing (Projektleitung) und Sabine Märkle. Foto: Nadia Fiedler, Christophorus Gesellschaft

Kein Mensch entscheidet sich aus Jux für ein Leben auf der Straße. Mit Abenteuer hat das nämlich nichts zu tun. Und auch nur bedingt mit Freiheit. „Für viele bedeutet Obdachlosigkeit ein ständiger Überlebenskampf“, sagt Jan Bläsing von der Christophorus Gesellschaft Würzburg. Im neuen Housing First-Projekt N.O.A.H., das der 39-Jährige leitet, sollen Obdachlose, die bisher von Angeboten nicht erreicht wurden, dauerhaft in Wohnraum gebracht werden. Den offiziellen Auftakt feiert das von der EU geförderte Projekt am 14. März im Burkardushaus.

Sie sollen machen, dass sie wegkommen, aber ein bisschen plötzlich. Solche Sprüche hören obdachlose Menschen oft. „Obdachlos zu sein, bedeutet, keine Privatsphäre zu haben und keinen Rückzugsort, um seine Energiereserven aufzutanken“, sagt Jan Bläsing. Es bedeutet, ständig befürchten zu müssen, von dort, wo man gerade ist, vertrieben zu werden. Oft bedeutet es noch viel konkretere Angst: „Es kann sein, dass etwas passiert, wenn man einschläft, dass man attackiert wird oder dass einem alles Hab und Gut gestohlen wird.“ Viele Obdachlose sehnen sich nach eigenen vier Wänden. Doch ihre Chancen auf dem Wohnungsmarkt sind extrem gering.

„Mit dem Housing First-Ansatz beschreiten wir neue Wege“, erklärt Jan Bläsing. Obdachlose Menschen bekommen ganz nach dem Motto: „Zuerst die Lösung, dann das Problem“ als erstes Wohnraum. Dieser ist nicht das Ziel der Hilfen, sondern der Anfang worauf alle anderen Hilfen aufbauen. Die Teilnehmer*innen entscheiden selbstbestimmt welche Unterstützung sie wann benötigen.

Geholfen wird dem vor Jahren obdachlos gewordenen Rentner ebenso wie dem Twen. Jenseits der Volljährigkeit gibt es keine Altersgrenze. Geholfen wird Menschen jeden Geschlechts. Menschen mit und Menschen ohne psychischen Problemen oder Suchterkrankungen. Ziel für das erste von aktuell vier genehmigten Projektjahren ist es, fünf Obdachlose dauerhaft in Wohnraum zu bringen. Dafür setzt sich unter der Leitung von Jan Bläsing ein fünfköpfiges Team ein. Das besteht aus drei Sozialpädagogen sowie einer Verwaltungskraft und dem Medienmanager Julian Friedewald. Letzterer ist für die Öffentlichkeitsarbeit des Projekts sowie für die Wohnungsakquise zuständig.

Wer seit Jahren stellenlos ist, deshalb irgendwann die Wohnung verlor und auf der Straße landete, ist nicht nur extrem arm. „Einige Obdachlose besitzen auch keinen Ausweis mehr, andere sind nicht mehr krankenversichert“, sagt Jan Bläsing. Aufgabe des N.O.A.H-Teams ist es neben der Wohnungsvermittlung, zusammen mit den Projektteilnehmer*innen dafür zu sorgen, dass alle notwendigen Papiere beschafft werden und der Krankenversicherungsschutz neuerlich einsetzt: „Auch beantragen wir gemeinsam Sozialleistungen.“ Nach und während des Einzugs unterstützt das Team den Klienten dabei, sich zu stabilisieren und den Haushalt zu führen. Das ist nach Jahren der Obdachlosigkeit anfangs gar nicht so einfach.

Ein tragischer Unfall oder eine schwere Krankheit, eine Scheidung oder ein plötzlicher Jobverlust können dazu führen, dass man auf der Straße landet. Laut dem am 8. Dezember 2022 erstmals von der Bundesregierung vorgelegten Wohnungslosenbericht sind bundesweit im Augenblick rund 263.000 Menschen wohnungs- oder obdachlos. 2021 verpflichtete sich Deutschland mit der Unterzeichnung der Lissaboner „Declaration on the European Platform on Combatting Homelessness“, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Housing First ist ein wichtiger Ansatz hierzu. Dass er funktioniert, erfuhr Jan Bläsing im Austausch mit Kollegen, die sich deutschlandweit in Housing First-Projekten engagieren.

Nach einem anstrengenden Tag heimkommen, sich unter die Dusche stellen und das heiße Wasser aufdrehen, sich danach gemütlich aufs Sofa kuscheln - was für ein Genuss! Jan Bläsing weiß, dass sich Dutzende obdachloser Menschen aus Stadt und Kreis Würzburg hiernach sehnen. Der Sozialpädagoge hofft auf menschenfreundliche Vermieter, die bereit sind, Wohnungslosen Menschen eine Chance zu eröffnen: „Mit der Stadt Würzburg und der StadtBau haben wir bereits zwei Kooperationspartner gewonnen.“ Künftig sollen auch ehrenamtliche Helfer in das Projekt integriert werden. Jan Bläsing könnte sich außerdem den Einbezug ehemals Obdachloser als Peers vorstellen.

Text: Nadia Fiedler, Christophorus Gesellschaft Würzburg

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