Er verhilft zu neuen Chancen

Werner Schühler von der Christophorus-Gesellschaft geht Ende August in Rente

Werner Schühler kümmerte sich jahrelang um Wohnungslose und Ex-Häftlinge. Bild: Christophorus-Gesellschaft

12.09.2022

Gelingt es Vater und Mutter nicht, ein Gefühl von Geborgenheit zu geben, ist das Familienleben gar von Gewalt oder Sucht überschattet, droht den Kindern die Gefahr, später einmal auf die schiefe Bahn zu geraten. Werner Schühler von der Würzburger Christophorus-Gesellschaft kennt hunderte Menschen mit diesem Schicksal. Seit fast 35 Jahre engagiert er sich für Wohnungslose und Ex-Strafgefangene. Ende August wird sich der rührige Sozialarbeiter in den verdienten Ruhestand verabschieden.

Dieser Tage werben soziale Einrichtungen intensiv um junge Menschen, die Lust haben, mit Kindern oder Erwachsenen in sozialen Notlagen zu arbeiten. Das war in den 1980er Jahren, als Werner Schühler nach seinem Studium an der Fachhochschule in Bamberg in seinen Beruf einstieg, völlig anders gewesen. „Damals gab es eine Sozialpädagogen-Schwemme“, erinnert er sich. Einen Job zu ergattern, war schwer. Der heute 65-Jährige entschied sich, zunächst in der Behindertenhilfe zu arbeiten. Seine erste Stelle war eigentlich für Erzieher ausgeschrieben. Doch da er nichts anderes fand, bewarb er sich. Und wurde prompt genommen.

Die Arbeit war schön, allerdings nicht wirklich das, was Werner Schühler beruflich tun wollte, zusätzlich erschwerten Schicht- und Wochenenddienste den Job. „Nach fünf Jahren fand ich dann beim Diakonischen Werk eine Stelle in der Wohnungslosenhilfe“, erzählt der Sozialarbeiter. Das war 1988. Damals gab es die ökumenische Christophorus-Gesellschaft noch nicht. Die wurde erst zwölf Jahre später gegründet. In den ersten Jahren nach der Überleitung blieb die Arbeit, wie sie war: Werner Schühler kümmerte sich um Menschen ohne Wohnsitz, die durch die Lande streiften und hofften, nachts irgendwo unterzukommen.

Menschen in sozialen Ausnahmesituationen verhalten sich oft anders als Bürger in geordneten Verhältnissen, manche sind depressiv, manche mitunter aggressiv, andere argumentativ schwer erreichbar. Sozialarbeiter lassen sich auf diese Menschen ein. Sie maßen sich kein moralisches Urteil über deren oft verworrenen Lebensweg an. „Das einzige Kriterium für unsere Hilfe ist die Frage, ob ein Wille zur Veränderung vorliegt“, sagt Werner Schühler, der in den letzten Jahren mit straffällig gewordenen Männern gearbeitet hat. Vielen Klienten eröffnete er eine neue Chance, indem er sie ins Ambulant betreute Wohnen der Christophorus-Gesellschaft aufnahm.

Vor allem während der Corona-Krise beanspruchte der Job den Sozialarbeiter sehr. Unter erschwerten Bedingungen wollte er weiterhin für Gefangene da sein: „Wir konnten zwar viele Monate lang nicht in die Justizvollzugsanstalt gehen, aber wenigstens waren Telefonate möglich.“ So gelang es, einzelne Männer nach ihrer Entlassung ins Betreute Wohnen aufzunehmen. Seit einem Jahr wird zum Beispiel Adrian O (Name geändert) von Werner Schühler begleitet. Wegen eines Raubüberfalls saß der mehr als drei Jahre lang hinter Gittern. Nun ist er 48. Und hat den festen Willen, ein neues Leben zu beginnen. Dabei hilft ihm Schühler.

Arme Menschen sind oft keine Computernutzer. Nun wird der Alltag jedoch zunehmend digitaler. Das betrifft das Jobcenter. Die Arbeitsagentur. Die kommunale Verwaltung. Oder die Wohnungssuche. Allein aus diesem Grund benötigen Wohnungslose und Strafentlassene sozialarbeiterische Hilfe. Das Team der Christophorus-Gesellschaft füllt zum Beispiel digitale Anträge aus oder hilft, im Netz nach Jobs zu fahnden. So gelang es auch Adrian O. dank Werner Schühlers Unterstützung, eine Stelle zu ergattern. Seit fünf Monaten verdient er Geld: „Dennoch gelingt es ihm einfach nicht, eine Wohnung zu finden.“

Ehemalige Strafgefangene stehen, auch wenn sie inzwischen wieder Arbeit und Geld haben, auf dem „Wohnungsmarkt-Ranking“ nach wie vor an zweit- oder drittletzter Stelle. Die Problematik kennt Werner Schühler seit sehr vielen Jahren. Immer wieder hat er es mit Männern zu tun, die sich sozial und psychisch so weit stabilisiert haben, dass sie ein ganz und gar eigenständiges Leben führen könnten. Doch sie bleiben weiter an die Christophorus-Gesellschaft angebunden, weil sie einfach nicht zu eigenen vier Wänden kommen. Das frustriert die Klienten enorm. Und macht natürlich auch die Sozialarbeiter nicht gerade glücklich.

Würde Werner Schühler seine beruflichen Erinnerungen schreiben, könnte er sicher zwei oder drei dicke Bände füllen mit Biografien von Männern, mit denen er in den vergangenen 35 Jahren über viele Monate hinweg durch dick und dünn gegangen ist. Einige erregten seine Bewunderung, weil sie es geschafft hatten, aus einem tiefen sozialen und seelischen Loch heraus zu einem völlig neuen Leben aufzusteigen. Andere strauchelten irgendwo auf dem Weg. Doch auch in diesen Fällen ist Werner Schühler immer froh gewesen, zumindest eine Chance eröffnet zu haben. Niemand, betont er, dürfe von vornherein fallengelassen werden.

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