Geballte ökumenische Power

Insgesamt 140 Jahre lang bieten Diakonie und Caritas gemeinsam Hilfen für Armen an

Fallbesprechung: Michael Thiergärtner von der Zentralen Beratungsstelle für Wohnungslose und Nadia Fiedler von der Schuldner- und Insolvenzberatung erörtern den schwierigen Fall eines wohnungslosen und überschuldeten Klienten. Foto: Günther Purlein

Sie stahlen, weil sie überhaupt kein Geld mehr hatten. Zum wiederholten Mal machte das Paar lange Finger. Beide wurden erwischt. Nun sitzen sie in der JVA. Die Wohnung ist weg. Der Schuldenberg hoch. Zwei Kinder leben im Augenblick im Heim. „Wir kümmern uns um die Familie in allen Problembereichen“, sagt Günther Purlein von der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft. Die hält Angebote sowohl für Wohnungslose als auch für Straffällige sowie für überschuldete Menschen bereit.

In der Christophorus-Gesellschaft engagieren sich der Caritasverband für die Diözese Würzburg, das Diakonische Werk und die Katholische Kirchenstiftung St. Johannes in Stift Haug. Gemeinsam werden Hilfen für Menschen angeboten, die in Armut oder Ausgrenzung leben. Im Jahr 2000 wurde die gemeinnützige GmbH gegründet. Die Kernangebote allerdings sind wesentlich älter.

„Wir sind gerade dabei, eine Feier anlässlich unserer 140-jährigen ökumenischen Zusammenarbeit vorzubereiten“, verrät Günther Purlein, Geschäftsführer der Christophorus-Gesellschaft. Die „140 Jahre“ sind eine symbolische Zahl, die für die geballte ökumenische Power in Würzburg steht. Sie setzt sich aus vier Jubiläen zusammen. Seit 45 Jahren gibt es in Würzburg eine gemeinsame Hilfe für Wohnungslose, seit 40 Jahren helfen beide Kirchen im Verbund Straffälligen. Vor 35 Jahren wurde die ökumenische Schuldner- und vor 20 Jahren die Insolvenzberatung gegründet.

„Es brauchte und es braucht die Kraft beider Kirchen, um Menschen in prekären Lebenssituationen zu helfen“, unterstreicht Michael Thiergärtner, der die Zentrale Beratungsstelle für Wohnungslose sowie die Kurzzeitübernachtung heute leitet. Als sich Caritas und Diakonie 1974 mit der Stadt Würzburg zusammentaten, um eine gemeinsame Anlaufstelle für „Berber“ zu etablieren, ging es zunächst um ein erstes Basisangebot. Seitdem haben sich die Hilfen immer weiter differenziert. Wohnungslose Männer, die wieder sozial Fuß fassen möchten, können sich seit 40 Jahren im Johann-Weber-Haus rehabilitieren. Vor knapp 30 Jahren kam als weiteres Angebot das Betreute Wohnen hinzu.

Die Christophorus-Gesellschaft reagiert immer wieder neu auf die konkrete Not der Klienten. Dadurch verfeinert sich die Hilfestruktur immer weiter. Vor einem Jahr konnte eine Außenwohngruppe des Johann-Weber-Hauses eröffnet werden. Das erleichtert den Sprung von der stationären Einrichtung ins selbstständige Leben. Im Ökumene-Jubiläumsjahr 2019 will die Christophorus-Gesellschaft eine neue Wohnform für chronisch Wohnungslose etablieren. „Manche dieser Männer sind seit über zehn Jahren in Verfügungswohnraum untergebracht“, so Purlein. Sie benötigen langfristige Begleitung, um nicht wieder auf der Straße zu landen.

Dass vor 45 Jahren eine neue Stelle für Nichtsesshafte eingerichtet wurde, hatte politische Gründe: Das Bettelverbot wurde damals aufgehoben. Bis dahin konnten Bettler im Knast landen. Auch „Landstreicherei“ ist seit 1974 kein Straftatbestand mehr. Die Aufhebung des Verbots stellte Kommunen und Kirchen vor neue Herausforderungen: Sie mussten sich vermehrt um Menschen kümmern, die legal um eine kleine Gabe nachfragten.

Fünf Jahre, nachdem sich die ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Wohnungslose gegründet hatte, ging ein zweites Netzwerk für die Zielgruppe „Straffällige“ an den Start. Die beiden Kirchen arbeiteten hier sowohl mit der Stadt als auch mit der Justiz zusammen. Die 1979 gegründete Einrichtung, die zu jener Zeit in der Juliuspromenade etabliert war, ist der Vorläufer der heutigen Zentralen Beratungsstelle für Strafentlassene. Werner Schühler, der diese Christophorus-Einrichtung leitet und heuer selbst sein 30-jähriges Dienstjubiläum feiert, kümmert sich um Menschen, die eine längere Haftstrafe verbüßten und nun vor der Herausforderung stehen, sich eine neue Existenz aufzubauen.

Weder Wohnungslose noch straffällig gewordene Menschen haben in der Gesellschaft ein positives Image. Noch eine dritte Gruppe ist mit Misstrauen und Vorurteilen konfrontiert: Überschuldete. Um die kümmert sich seit 35 Jahren die heute von Nadia Fiedler geleitete ökumenische Schuldnerberatung. Wobei die hier beratenen Menschen Schnittmengen bilden mit jenen Klienten, die von Fiedlers Kollegen von der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe unterstützt werden. „Wir beraten Menschen, die wohnungslos waren oder denen Wohnungslosigkeit droht“, so die Sozialrechtlerin. Regelmäßig findet außerdem Schuldnerberatung im Gefängnis statt.

Gerade das Problem „Überschuldung“ hat zunehmend an Brisanz gewonnen. Längst ist davon auch die Mittelschicht betroffen. Durch Schicksalsschläge geraten Menschen, die das nie für möglich gehalten hätten, in finanzielle Schieflagen. Trennung und Scheidung sind laut Fiedler häufige Gründe dafür, dass sich die Schuldenspirale zu drehen beginnt. Aber auch familiäre Todesfälle, schwere körperliche oder seelische Krankheiten führen die Betroffenen in die Beratungsstelle.

Das Jubiläum „140 Jahre Ökumene“ wird am 24. Juli 2019 am Christophorus-Tag gefeiert. Die Feier findet im Burkardus-Haus statt.

Günther Purlein

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