Haft macht Arme oft noch ärmer

Navina De berät überschuldete Gefangene direkt in der Würzburger Justizvollzugsanstalt

Navina De von der Christophorus-Gesellschaft (rechts) bespricht mit Julia Vogt von der Sozialberatung der JVA den Fall eines überschuldeten Gefangenen. Foto: Günther Purlein

Nicht selten ist eine prekäre finanzielle Situation schuld daran, dass jemand im Gefängnis landet: Es fehlt an Geld. Deshalb wird geklaut. Oder betrogen. „Außerdem bringen viele Inhaftierte Schulden mit in die Vollzugsanstalt“, sagt Navina De von der Christophorus-Gesellschaft. Dieser meist noch moderate Schuldenberg kann sich während der Haft in schwindelerregende Höhen schrauben. Denn zu den Schulden, die „draußen“ entstanden sind, gesellen sich stattliche Gerichts-, Gutachter- und Anwaltskosten.

Zwei Mal in der Woche informiert sich Navina De vor Ort in der Würzburger JVA, wie es jenen Gefangenen geht, die wegen Schulden von ihr unterstützt werden wollen. „Ungefähr 300 Gespräche habe ich im Jahr“, erzählt die Schuldnerberaterin. Die Nachfrage nach dem Angebot der Christophorus-Gesellschaft ist hoch. Aktuell stehen 30 Inhaftierte auf Des Warteliste. „Was Navina De leistet, ist eine äußerst wichtige Ergänzung zu unserer Arbeit in der JVA“, sagt Julia Vogt vom Sozialdienst der Justizvollzugsanstalt. Während sich der Sozialdienst in erster Linie um die Existenzsicherung der Gefangenen kümmert, hilft De Schulden abzubauen.

Viele Gefangene quält der Gedanke an ihren Schuldenberg. Wie sollen sie jemals davon frei werden? Das fragte sich auch Claus P. Der 42-Jährige ist mit über 350.000 Euro in den Miesen. „Er hat vier Kinder und deshalb Unterhaltsschulden angesammelt“, erläutert Navina De. Auch die Krankenkasse will Geld von dem Inhaftierten. Gerichtskosten schlagen zu Buche. Außerdem hat Claus D. hohe Forderungen des Finanzamts zu begleichen. Seit einem Jahr ist Navina De dabei, Licht ins Dunkel von Claus P.s völlig verworrener Finanzsituation zu bringen. Nun ist sie so weit, dass sie mit ihrem Klienten ins Privatinsolvenzverfahren einsteigen kann. Dies soll spätestens im Januar geschehen.

Gefangene, die nirgends mehr eine Bleibe haben, leiden ganz besonders unter ihrer finanziellen Bredouille. Wie sollen sie nach der Haftentlassung ohne Geld eine Wohnung finden? „Wer höchstens ein halbes Jahr inhaftiert ist, kann zwar die Übernahme der Mietkosten beantragen, doch das ist kompliziert“, berichtet Holger Schubert vom Sozialdienst der JVA. So verlangen die Behörden seit einer Weile, dass der Antragsteller seine Steueridentifikationsnummer angibt: „Die allerdings haben die wenigsten mit ins Gefängnis gebracht.“ Doch selbst wenn es möglich ist, den Antrag auszufüllen, wird der oft abgelehnt. Es kommt zur Kündigung der Wohnung. Und zur Zwangsräumung.

Viele Gefangene sind völlig ratlos, was sie tun sollen, um sich nach der Verbüßung ihrer Haftstrafe wieder gesellschaftlich zu integrieren. Sie haben kein soziales Netz mehr. Keine Wohnung. Keinen Job. Kein Geld. Und fühlen sich von Inkasso-Büros „terrorisiert“. Erst kürzlich sagte ein Gefangener völlig frustriert zu Holger Schubert: „Es ist alles umsonst, ich krieg sowieso keinen Fuß mehr auf den Boden.“ Auch dieser Gefangene musste die Erfahrung machen, dass die Kosten für seine Wohnung nicht übernommen wurden. Außerdem hatte sein Antrag, die Unterhaltszahlungen auf Null zu stellen, keinen Erfolg. Auch in diesem Fall laufen während der Haft Monat für Monat neue Schulden auf.

Navina De, Julia Vogt und Holger Schubert versuchen alles, was in ihrer Macht steht, um den Inhaftierten einen Neustart zu ermöglichen. Oft genug scheitern sie an ungnädigen Sachbearbeitern oder an bürokratischen Hürden. „Es wird mitunter völlig kurzsichtig gehandelt“, kritisiert Schubert. Denn weil es so schwer ist, nach der Haft in ein neues Leben zu starten, kommen viele Haftentlassene nach wenigen Wochen oder Monaten neuerlich mit dem Gesetz ins Gehege. „Es gibt Inhaftierte, die ich schon zum achten Mal hier sehe“, sagt der Sozialarbeiter. Fast jeder dritte Gefangene kehrt wieder zurück. Weil er keine Chance sah, sich wiedereinzugliedern.

Auf Claus P.s Gesicht spiegelte sich große Erleichterung, als ihm Navina De beim letzten Treffen berichten konnte: „Sie werden durch die Restschuldbefreiung fast alle Ihre Schulden los sein.“ Und zwar wahrscheinlich in nur drei Jahren. Wann genau Claus D. in das Verfahren einsteigen kann, hängt davon ab, wann das neue Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, das aktuell noch sechs Jahre dauert, in Kraft treten wird. Ende September wurde über den Gesetzentwurf in einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz diskutiert. Eigentlich hätte das Gesetz am 1. Oktober in Kraft treten sollen. Doch noch werden mehrere Details kritisch gesehen.

Dass das Gesetz auf jeden Fall kommen wird, ist ein Lichtblick für Claus P., der noch zwei Jahre in der JVA einsitzen wird. Überhaupt ist er dankbar, dass er im Gefängnis Navina De und die Schuldnerberatung kennen gelernt hat. Obwohl er schon seit vielen Jahren Schulden mit sich herumschleppt, war er nie auf die Idee gekommen, einmal eine Schuldnerberatungsstelle aufzusuchen. Darum hatte er auch nicht gewusst, dass Einkommen nur bis zu einer gewissen Grenze gepfändet werden darf. Und dass es ein „P-Konto“ gibt, das vor Pfändung schützt.

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