„Ich wollte einfach nur leben!"

Im Projekt „Haus & Hof“ werden die Männer aus dem Johann-Weber-Haus stabilisiert

Jonas T. hilft Kirsten Käppner bei Entrümpelungsarbeiten. Foto: Christophorus-Gesellschaft

02. Mai 2022

Fünf Stufen wurden Jonas T. (Name geändert) zum Verhängnis. Er krachte herunter. Voll aufs Knie. Der Schienbeinknochen splitterte. „Das war mein zweiter schwerer Unfall“, erzählt der Bewohner des Würzburger Johann-Weber-Hauses. Wieder war er außer Gefecht gesetzt. Wahrscheinlich für lange. Vielleicht würde es nie mehr gut werden mit dem Bein: „Das stürzte mich in eine tiefe Depression.“ Der 45-Jährige kümmerte sich um nichts mehr. Irgendwann verlor er seine Wohnung. Im Januar stand er auf der Straße.

Zwei Nächte schlief Jonas T. zu Beginn dieses Jahres auf einer Parkbank. Dann wandte er sich an die Bahnhofsmission. Dort verwies man ihn an die Kurzzeitübernachtung. Wo er vom Johann-Weber-Haus erfuhr. Im März konnte Jonas T. in die sozialtherapeutische Einrichtung der Christophorus-Gesellschaft einziehen. Er, der auf dem absoluten Tiefpunkt angelangt war, hat seitdem das Gefühl, dass es nach und nach wieder aufwärtsgeht. „Ich bekomme hier Hilfe, wann immer ich sie brauche“, sagt er. Vor allem hat Jonas T. endlich wieder eine Tagesstruktur: „Ich nehme am Projekt ‚Haus & Hof‘ teil.“ Der junge Mann bringt Altglas weg. Putzt Fenster. Hilft beim Entrümpeln. Und kauft ein.

Wer Jonas T. sieht, kann sich kaum vorstellen, in welchem Schlamassel der Würzburger im letzten Jahr steckte. Jonas T. hat die Gabe, sich sehr gut ausdrücken zu können. Man spürt seine Intelligenz. Er hätte, weiß er heute, viel mehr aus seinem Leben machen können. Das Abitur hatte er in der Tasche. Doch es drängte ihn nicht, zu studieren. „Ich wollte einfach nur leben“, sagt er. Nachdem er nicht nur intellektuell, sondern auch handwerklich sehr begabt ist, fand er immer irgendwo einen Job, der ihm so viel Geld einbrachte, dass er leben konnte. Und zwar richtig gut.

„Für mich ist Herr T. ein Glücksfall“, sagt Kirsten Käppner, die für das Projekt „Haus & Hof“ im Johann-Weber-Haus zuständig ist. Das Projekt dient zur Stabilisierung jener Männer, die neu in die sozialtherapeutische Einrichtung einziehen. Viele schaffen es anfangs kaum, morgens aus dem Bett zu kommen. Durch „Haus & Hof“ gelingt es ihnen, sich neuerlich Pünktlichkeit anzutrainieren. Jonas T. hat kein Problem damit, morgens um 8 Uhr auf der Matte zu stehen. Für die Aufgaben, die im dreistöckigen Gebäude in der Nähe des Würzburger Hauptbahnhofs anfallen, ist er bestens gerüstet. Unter seinen vielen Jobs war auch mal eine längere Hausmeistertätigkeit. Das, sagt Käppner, spürt man.

Selten hat die „Haus & Hof“-Verantwortliche einen Bewohner, der so bereitwillig und so gern das macht, was am jeweiligen Tag auf dem Programm steht. Die meisten Bewohner des Johann-Weber-Hauses tun sich zumindest zu Beginn sehr schwer mit der „Einstiegserprobung“, als welche das Projekt fungiert. Jonas T. hingegen betont, wie wichtig ihm die Einsätze sind. Er könnte sich gut vorstellen, noch intensiver mitzuarbeiten. Dies deshalb, weil er unbedingt etwas zu tun haben möchte.

Zu lange tat er nichts. Ließ er alles laufen. Konnte er sich zu nichts mehr aufraffen. So stapelten sich zu jener Zeit, als ihn die Depression fest im Griff hatte, bergeweise die Post bei ihm. Um zu verstehen, warum die beiden Unfälle Jonas T. psychisch so massiv in Mitleidenschaft gezogen haben, muss man wissen, dass der Würzburger früher sehr sportlich gewesen war. Zum Beispiel spielte er mit großer Leidenschaft Tennis. Auch liebte er es, zu joggen. Mit einem Mal dermaßen stark körperlich beeinträchtigt zu sein, konnte er nicht verkraften.

Jonas T., der lange finanziell unabhängig war und das Leben in vollen Zügen genoss, wohnt nun zusammen mit Männern, die längere Zeit im Gefängnis eingesperrt waren oder die mehrere Jahre auf der Straße lebten. Für viele Menschen mit seinen Anlagen wäre so etwas undenkbar. „Doch ich bin heilfroh, hier sein zu dürfen“, sagt der Würzburger. Durch seine schwere seelische Krise hat er im Übrigen erkannt, von wie großer Bedeutung Einrichtungen wie das Johann-Weber-Haus sind. Viele Menschen, sieht er, brauchen an irgendeinem Punkt ihres Lebens solche Angebote, weil sie sonst vollends in einem Sumpf aus psychischem Leid und materieller Not versinken würden.

Noch immer hat Jonas T. ziemliche Probleme mit seinem Knie. Im Augenblick denkt er darüber nach, ob er einen Schwerbehindertenausweis beantragen sollte. Der ginge vermutlich sogar durch. Das körperliche Handicap, das von seinem Unfall herrührt, wirkt sich erschwerend auf die Arbeitssuche außerhalb des Johann-Weber-Hauses aus. „Ich weiß, dass ich sofort einen Job bekommen könnte“, sagt Jonas T. selbstbewusst. Aber im Moment möchte er noch abwarten. Möchte er sehen, ob sich sein körperlicher Zustand vielleicht doch noch bessert. Vor allem ist er sich nicht ganz im Klaren, was er in Zukunft beruflich machen möchte.

Durch die Erfahrungen der vergangenen Monate entdeckte Jonas T. seine soziale Ader. Gerne würde er mit Menschen arbeiten, die, so wie er bis letztes Jahr, in einer Krise stecken. Der junge Mann hat schon mal seine Fühler ausgestreckt. Möglicherweise, sagt er, könnte er Anleiter in einem Würzburger Sozialunternehmen werden.

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