Immer mehr Überschuldete

Nadia Fiedler, Fachanwältin für Sozialrecht und Leiterin der Schuldnerberatung für die Stadt und den Landkreis Würzburg sowie die staatliche anerkannte Insolvenzberatung

Würzburg. Die Quote ist erschreckend: Mehr als jeder zehnte Bürger Deutschlands ist 2015 verschuldet. „Die Diözese Würzburg bildet keine Ausnahme“, betont Nadia Fiedler, Leiterin der Schuldnerberatungsstelle der Würzburger Christophorus-Gesellschaft. Rund 7.500 Männer und Frauen wandten sich in der Vergangenheit an die ökumenische Einrichtung: „Darunter 600 akut Neuverschuldete im Jahr 2015.“ Damit überstieg die Zahl der neuen Klienten erneut die Vorjahreszahlen.

Eine Rückzahlung der Schulden ist in vielen Fällen nicht möglich. Die Betroffenen müssten hierfür monate-, wenn nicht gar jahrelang arbeiten, ohne einen Cent ihres Einkommens zu verbrauchen - sofern sie überhaupt eine Arbeit haben. „Im statistischen Durchschnitt sind unsere Klienten mit rund 35.000 Euro verschuldet“, erläutert Günther Purlein, Geschäftsführer der Christophorus-Gesellschaft. Weil es oft nicht möglich ist, diesen immensen Schuldenberg abzutragen, lässt sich ein Teil der Klienten in die sogenannte Privatinsolvenz begleiten mit der anschließenden gesetzlichen Rest-SCHULD-Befreiung.

Mit dem Begriff „Schuld“ sind die Schuldnerberater aus dem Christophorus-Team nicht sehr glücklich. In keiner anderen Sprache ist „Schuld“ so eng mit „Schulden“ verwandt, erläutert Purlein: „Doch um Schuld geht es nicht.“ Viele Menschen kommen in die Situation, dass sie ihre Stromkosten und die Miete, die Ratenzahlung oder andere Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen können. Häufig steht am Beginn eine Scheidung. Aber auch plötzliche Arbeitslosigkeit, eine schwere Erkrankung oder ein Unfall können in die finanzielle Bredouille führen.

Das achtköpfige Team der Schuldnerberatungsstelle bemüht sich zunächst, die Existenz der Betroffenen zu sichern. „Das Schlimmste ist, wenn Miete oder Stromkosten nicht mehr bezahlt werden können“, sagt Fiedler. „Das sind erhebliche Probleme, die die Klienten in ihrer Existenz bedrohen.“ Sitzt ihr ein Klient gegenüber, dem eine Stromsperre droht, greift sie zum Telefonhörer und versucht, die Situation direkt zu klären. Oft, erläutert die Sozialrechtsexpertin, dauert es nur ein paar Tage, bis der Klient wieder liquide ist - und natürlich möchte er zunächst seine Stromschulden zahlen. Hat der Energieversorger kein Einsehen, wird versucht, das Jobcenter zum Vorstrecken der geschuldeten Summe zu bewegen.

Das weit verbreitete Phänomen der Überschuldung geht uns alle an. Deshalb ist es dem Team der Christophorus-Gesellschaft wichtig, alle Pfarrgemeinden zu erreichen. „Durch frühzeitige Unterstützung kann Überschuldung vermieden werden“, so Fiedler. Wer also weiß, dass vor allem Alleinerziehende oft in prekären Umständen leben, kann von sich aus bei der Alleinerziehenden in der Nachbarschaft einmal nachfragen, ob eine kleine Hilfeleistung gewünscht ist. So wird jenes Vertrauen aufgebaut, dass dann, wenn es einmal eng werden sollte, den Mut aufkommen lässt, um Beistand zu bitten.

Werden Veranstaltungen geplant, sollte ebenfalls an Menschen gedacht werden, die sprichwörtlich jeden Cent umdrehen müssen. Verzehrzwang sollte tabu, ein Vortrag möglichst kostenfrei sein. Gibt es beim Pfarrfest ohnehin Bons, könnten einige Gutscheine vorab an Familien verschenkt werden, die es finanziell schwer haben. Purlein: „Beim Stand lösen sie die Bons wie alle anderen Gäste ein. Niemand muss sich als „arm“ outen.“

Günther Purlein

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