In Kontakt mit dem prallen Leben

Durch ihr FSJ in der Wärmestube ist Svenja Kowalyk um etliche Erfahrungen reicher

Svenja Kowalyk (Mitte) mit zwei Besucherinnen der Wärmestube. Foto: Günther Purlein

Würzburg. Die Frage: „Wie geht’s?“ ist für Svenja Kowalyk inzwischen tabu. Den meisten Besuchern der Wärmestube, wo die 19-Jährige seit September 2016 ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) ableistet, geht es nicht besonders gut. „Deshalb beginne ich eine Unterhaltung lieber mit etwas ganz Belanglosem“, so die junge Frau. Sie macht zum Beispiel eine Bemerkung über das Wetter. Oder sagt, dass ihr der Pullover einer Besucherin gut gefällt. Auf diese Weise kommt sie oft tief mit den Gästen ins Gespräch.

Hinter Svenja Kowalyk liegen sehr besondere neun Monate. „Noch nie in meinem Leben habe ich innerhalb so kurzer Zeit so viele Erfahrungen gemacht“, sagt die junge Frau. In der Wärmestube der Christophorus-Gesellschaft lernte sie eine Menge Menschen kennen, die das Schicksal schwer gebeutelt hat. Vielen ging es schon von Anfang ihres Lebens an nicht gut: „Sie wurden von ihren Eltern geschlagen oder missbraucht, manchmal starben die Eltern auch früh.“

Viele Lebensgeschichten gingen Svenja Kowalyk unter die Haut. Schockierend war für sie zum Beispiel, als ihr eine junge Frau, nicht viel älter als sie selbst, neulich auf dem Handy Fotos zeigte, auf denen tiefe Wunden zu sehen waren, die sie sich durch massives Ritzen selbst zugefügt hatte. Auch berührte sie die Erzählung eines Flüchtlings, der ihr darlegte, warum für ihn Weihnachten ein ganz besonders schlimmer Tag ist: „Da saßen seine Eltern immer in der Kneipe und betranken sich.“

Svenja Kowalyk hat gleichzeitig Menschen kennen gelernt, die mit aller Kraft versuchen, ihre Situation zu verbessern. So schaffte es ein Wärmestuben-Besucher aus Osteuropa, ohne Hilfe von Fachkräften seinen immensen Alkoholkonsum in den Griff zu bekommen. Neun Tage lang trank er keinen Tropfen: „Das war anfangs sehr schlimm gewesen, da hatte er Entzugserscheinungen bekommen und stark gezittert.“ Doch der Mann hielt durch. Von Tag zu Tag ging es ihm besser: „Am neunten Tag sah er schon wesentlich gesünder aus.“ Das ganze Team der Wärmestube freute sich mit ihm: „Er bekam von uns sogar eine kleine Medaille überreicht.“

Vor wenigen Wochen organisierte Svenja Kowalyk in der Wärmestube ganz alleine ihr erstes Kreativprojekt. An zwei Tagen batikte sie mit den Besucherinnen und Besuchern insgesamt 40 T-Shirts. „Ich war völlig überrascht, wie gut das ankam“, erzählt sie. Gerechnet hatte sie mit drei oder vier Interessierten pro Tag: „Tatsächlich waren es jeweils 15.“ Nicht nur die Frauen hatten große Freude daran, mit vier Batikfarben und Paketschnur zu experimentieren. Auch viele männliche Gäste ließen sich auf das kreative Abenteuer ein.

Svenja Kowalyk ist eine von zehn jungen Leuten, die sich derzeit in einer der Einrichtungen der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft engagieren. Sie entschied sich für das FSJ vor allem deshalb, weil sie heuer im Herbst eine fundierte Berufsentscheidung treffen möchte. Nach neun Monaten FSJ steht sie vor zwei Optionen. Zum einen könnte sie sich vorstellen, später einmal in der Suchtberatung zu arbeiten. Sieht sie doch in der Wärmestube jeden Tag, wie groß die Not suchtkranker Menschen ist. Gleichzeitig ist ihr Interesse an Psychologie erwacht. Von daher überlegt sie, ob sie Sonderpädagogik studieren und sich später um Kinder mit Verhaltensstörungen kümmern sollte.

Katja Haas, die sich seit sechs Wochen als Praktikantin bei der Christophorus-Gesellschaft engagiert, hat sich bereits für ein Berufsfeld entschieden. Sie studiert im vierten Semester Soziale Arbeit. Das, was sie an der Würzburger Hochschule für angewandte Wissenschaften bisher in der Theorie gelernt hat, nun bei der Christophorus-Gesellschaft mit Alltagspraxis zu unterfüttern, erlebt die 22-Jährige als sehr spannend. Ihr geht es vor allem darum, zu erfahren, wie eine soziale Einrichtung hinter den Kulissen funktioniert. Darum bringt sie sich momentan in der Geschäftsstelle ein.

„Ich habe aber gleichzeitig die Möglichkeit, in den verschiedenen Einrichtungen zu hospitieren“, sagt die junge Frau. Diese Chance will sie auch nutzen. Denn bisher hatte Katja Haas keine direkte Berührung mit Menschen, die ihre Wohnung verloren haben. Theoretisch weiß sie zwar, aus welchen Gründen Männer und Frauen auf der Straße landen. Doch mit Menschen zu sprechen, die dieses Schicksal aktuell erleben, ist natürlich noch mal etwas ganz Anderes, als sich das in Fachbüchern anzulesen. Günther Purlein

Wer sich für ein FSJ bei der Christophorus-Gesellschaft interessiert, kann sich unter 0931-3224151 oder info@christophorus-wuerzburg.de melden.

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