Kein Mitleid, sondern Respekt

Die Akteure des Tages. In der Mitte Regierungspräsident Dr. Eugen Ehmann.

Kitzingen, 14.09.2023. Caritas lädt ein zum Workshop „Obdachlosigkeit in Kommunen“. Großes Interesse bei Bürgermeistern, Landräten, Verwaltungskräften und Verantwortlichen.

Gegen 16 Uhr leert sich der große Saal in Kitzingens Alter Synagoge. Bürgermeister, Landräte und zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Kommunen der Region treten bereichert den Heimweg an. Fast überschwänglich ist das Lob für einen gelungenen und kurzweiligen Tag zu einem komplexen Themenfeld. Groß ist die Begeisterung über den Workshop von und mit Regierungspräsident Dr. Eugen Ehmann, dem durchweg bescheinigt wird, schwierige Materie auf verständliche und unterhaltsame Weise vermittelt zu haben.

Begonnen hatte der Tag in der Alten Synagoge mit kurzen Grußworten. Den Auftakt machte dabei Nadia Fiedler, Geschäftsführerin der Würzburger Christophorus-Gesellschaft und Moderatorin des Tages. Sie hieß die Anwesenden, darunter auch Michaela Seybold vom Bayrischen Sozialministerium, Landrätin Sabine Sitter und Würzburgs Sozialreferentin Dr. Hülya Düber, herzlich willkommen und stellte die Dringlichkeit der Thematik vor. „Mit Sorge beobachten wir, dass sich Armut und Obdachlosigkeit seit Jahren verfestigen.“ Krieg, steigende Energiekosten und Inflation hätten eine zunehmende Ausgrenzung zur Folge. „Obdachlosigkeit ist die höchste Form der Ausgrenzung“, so Fiedler. „Wir wollen informieren, aufklären und die Fachleute in den Verwaltungen stärken in einer menschenfreundlichen Grundhaltung.“ Fiedler verwies auf das Diktum des Referenten Regierungspräsident Dr. Eugen Ehmann, wonach Obdachlosen mit Respekt und rechtlich korrekt zu begegnen sei.

„Den Kommunen kommt im Einsatz für Obdachlose elementare Bedeutung zu“, begrüßte Caritas-Fachberater und Veranstaltungsorganisator Bernhard Christof die Anwesenden und erinnerte an den Aktionstag Wohnungslosigkeit, der Jahr für Jahr am 11. September begangen werde. Obdachlosigkeit sei durch Ängste und Notlagen gekennzeichnet. „Wir sollten den Betroffenen nicht mitleidig, sondern respektvoll begegnen. Es geht nicht um die Klärung von Schuldfragen, sondern um die Abwendung von Notlagen“, so Christof, der mit seinem Beitrag auch herzliche Grüße des Vorsitzenden des Diözesan-Caritasverbandes Domkapitular Clemens Bieber überbrachte. „Mein besonderer Dank gilt ihrer Bereitschaft, Herr Regierungspräsident, uns mit ihrem Vortrag und Workshop zu inspirieren und zu bereichern.“

Für die Stadt Kitzingen sprach Oberbürgermeister Stefan Güntner über die wachsenden Herausforderungen und das Engagement der Stadt im Notwohngebiet. „Wir setzen uns für die Menschen in Notlagen ein und sind dankbar für die gute Zusammenarbeit mit Caritas und Diakonie“, lobte der Oberbürgermeister. Es brauche mehr als nur die Unterbringung. „Wir setzen weiterhin auf Begleitung und Beratung.“

Die Relevanz des Themas unterstrich auch Staatssekretär Sandro Kirchner aus dem Innenministerium. Er erinnerte an das soziale Engagement der langjährigen Landtagspräsidentin Barbara Stamm, die immer wieder betont habe: „Wir müssen uns in die Menschen hineinversetzen.“ Kirchner betonte, dass es keine Alleinkämpfer brauche, sondern das Zusammenspiel aller Akteure. „Mit dem Aktionsplan und der Stiftung des Freistaates wollen wir helfen, etwas gegen Wohnungslosigkeit zu tun.“ Kirchner verschwieg nicht, dass die Lage gegenwärtig schwierig sei und der soziale Wohnungsbau nicht schnell genug vorankomme. „Das ist schlicht und ergreifend extrem teuer geworden.“ Mit einer Förderung von einer Milliarde Euro wolle der Freistaat nun eine gewisse Abhilfe schaffen. „Geben sie uns ihre Impulse weiter“, ermutigte der aus München angereiste Staatssekretär. „Wir wollen noch besser werden in unserem Tun.“ Ausdrücklich dankte der Staatssekretär allen, die sich beruflich und ehrenamtlich für Menschen in Obdach- und Wohnungslosigkeit einsetzen.

Workshop mit Dr. Eugen Ehmann

Umfassendes Sachwissen, ein hohes Maß an gesundem Menschenverstand und eine gehörige Portion Lebens- und Berufserfahrung, garniert mit Anekdoten und ausgewählten Fällen aus der Praxis. Das ist das Rezept, mit dem Dr. Ehmann seine Zuhörerinnen und Zuhörer nicht nur begeisterte, sondern zum Mitdenken und -reden herausforderte. Wer ist zuständig, wenn ein Obdachloser am Rathaus auftaucht? Welchen Anspruch haben Menschen in Obdachlosigkeit und wo liegen die Grenzen? Wie kann und muss verfahren werden bei schwierigen Fällen, wenn Menschen nicht wohnfähig oder gar aggressiv und gefährlich werden? Wer kommt für entstehende Kosten auf?

„Wir haben es überall mit Gesetzen und Rechtsnormen zu tun“, so Jurist Ehmann, aber entscheidend sei immer die Haltung. „Obdachlosen ist mit Respekt zu begegnen, und sie sind korrekt zu behandeln.“ Ehmann lud nachdrücklich und wiederholt ein, Probleme nicht zu verschieben, sondern auf Kooperation zu setzen. Dies gelte besonders für die Behörden und Institutionen. „Am Ende des Tages sitzen wir alle im selben Boot.“ Kommunen sollten sich miteinander austauschen und vernetzen. „Vieles, was sie in ihrer Kommune für exotisch halten, ist ganz normal. Das merken sie, wenn sie den Austausch mit anderen suchen.“ Der Regierungspräsident sparte nicht mit guten Hinweisen und Tipps. „Wenn sie Gebühren für eine Unterbringung erheben wollen, dann brauchen sie eine Gebührensatzung“, so der Fachmann. „Vielen Kommunen scheint das nach wie vor nicht klar zu sein.“

Dringend empfahl der erfahrene Jurist die Zusammenarbeit mit Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Wohlfahrtsverbänden. „Dazu sind Kommunen rechtlich nicht verpflichtet, aber es kann sehr hilfreich sein, wenn man Probleme wirklich lösen will.“

Beispiele aus der Praxis

Wie gut und sinnvoll die Arbeit von Caritas und Diakonie in Unterfranken im Bereich der Obdachlosenhilfe ist, zeigte am Nachmittag die Vorstellung von vier laufenden Projekten aus der Praxis.

Mit dem Projekt „Dach überm Kopf“, finanziert durch die Stadt Kitzingen und fachlich verantwortet durch Caritas und Diakonie, wurde eine Sozialberatung im Notwohngebiet etabliert. Sozialpädagogen helfen, Wohnungslosigkeit zu vermeiden, Kontakte zu Ämtern und Behörden herzustellen und bei Bedarf Wohnraum für Menschen in prekären Lebenslagen zu finden. Das Projekt sei ein Beitrag zum sozialen Frieden und wurde aufgrund seines Erfolges um fünf weitere Jahre verlängert, berichteten Tim Pfeuffer und Larissa Fecher.

Das Würzburger Projekt OSKAR, angeschlossen an die Wärmestube, nimmt insbesondere Menschen in Wohnsitz- und Obdachlosigkeit in den Blick, die unter psychischen Erkrankungen leiden. „Es geht um aufsuchende Hilfe und Vernetzung“, berichtete Sozialpädagogin Steff Behnecke vom Förderverein Wärmestube. Wichtig sei es, auch diesen Menschen Zugänge zum Gesundheitssystem zu öffnen. Moritz Maier gab in seinem Beitrag zum Projekt OSKAR Einblicke in die Arbeit der Wärmestube.
Einen neuen Ansatz probiert das EU-geförderte Projekt NOAH unter dem Dach der Würzburger Christophorus-Gesellschaft. Adrian Jimenez und Hanna Friehs stellten das Konzept „Housing first“ vor. „Wir wollen Menschen erst einmal zu einer Wohnung verhelfen, um dann die oftmals komplexen Probleme in den Blick zu nehmen.“ Angesichts der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt stehe das Projekt vor besonderen Herausforderungen und sei überdies nicht für alle Menschen in Obdach- bzw. Wohnungslosigkeit geeignet. Es gehe um eine Ergänzung zu anderen Ansätzen und Projekten.
Christin Stapel und Gregor Böhm koordinieren, angeschlossen an den Heimathof Simonshof der Caritas, im Landkreis Rhön-Grabfeld das Projekt „Mobile Hilfe“. Die Wege zu den Menschen seien im Flächenlandkreis oftmals lang, stellte Böhm eine der Herausforderungen dar. „Wir wollen durch Gespräche den Verlust der eigenen Wohnung vermeiden helfen“, erläuterte Stapel den präventiven Ansatz. Mit ihrer Expertise stünden sie auch den Kommunen zur Verfügung.

Am Ende dankte Organisator Bernhard Christof allen, die zum Gelingen des Tages beigetragen hätten. „Mein besonderer Dank gilt ihnen, Herr Regierungspräsident Dr Eugen Ehmann. Bereits zum zweiten Mal durfte ich Sie bei einem solchen Workshop erleben und bin wieder begeistert worden. Ich hoffe sehr, dass etwas von der konstruktiven und guten Atmosphäre überfließt in die Arbeit unserer Kommunen.“

Sebastian Schoknecht | Caritas

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