Männer mit Angst vor der Freiheit

Stephan Hohnerlein leitet seit einem Jahr Zentrale Beratungsstelle für Strafentlassene

Stephan Hohnerlein sitzt telefonierend an seinem Arbeitsplatz in der Strafentlassenenhilfe
Stephan Hohnerlein leitet seit August 2022 die Zentrale Beratungsstelle für Strafentlassene. Text & Bild: Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft

Dass er einmal dahin kommen würde, wo die schweren Jungs einsitzen, hätte Christoph K. (Name geändert) nie gedacht. Doch da ist er nun. Noch immer drei Wochen. Fast fünf Jahre war der 50-Jährige in Haft. „Ich werde ihn Ende August an der Torwache abholen“, sagt Stephan Hohnerlein, der die Zentrale Beratungsstelle für Strafentlassene der Christophorus-Gesellschaft seit einem Jahr leitet. Regelmäßig begibt sich der Sozialpädagoge in die JVA, um Gefangene vor ihrer Entlassung zu beraten.

Auch Christoph K. traf Stephan Hohnerlein mehrere Male. Dem Gefangenen geht es gar nicht gut. Sein Selbstbewusstsein ist massiv angeschlagen. Christoph K. hat regelrecht Angst vor der Freiheit. So viel hat sich verändert, seit er im „Bau“ sitzt. Hier hat er die Corona-Krise kommen und gehen sehen. Hier hatte er den Ausbruch des Ukraine-Kriegs miterlebt. Hier bekommt er mit, dass „draußen“ alles immer teurer wird. Wie soll er mit all den Veränderungen nach so langer Zeit klarkommen?
Menschen, die aus dem Gefängnis entlassen werden, haben oft ein ganzes Bündel von Problemen zu bewältigen. Viele stecken tief in Schulden. Viele haben keinen Job mehr. „Das größte Problem ist, dass die Männer nicht wissen, wo sie hinsollen“, sagt Stephan Hohnerlein. Die meisten scheuen den Einzug in eine Obdachlosenunterkunft. Christoph K. bleibt dieses Schicksal erspart: „Wir können ihn in unser ambulant Betreutes Wohnen aufnehmen.“ Insgesamt zehn Wohnungen hat der Sozialarbeiter für straffällig gewordene Männer nach der Haftentlassung zur Verfügung.

„Es ist das beste, wenn Männer, die keine Wohnung haben, nach der Entlassung direkt zu uns kommen, aber leider lassen sich Umwege über eine Obdachlosenunterkunft nicht immer vermeiden“, bedauert er. Selbst das ambulant betreute Wohnen gibt jedoch keine Gewähr, dass es mit der Resozialisierung reibungslos klappt. Nicht selten scheitern die Männer trotz festen Willens, künftig ein straffreies Leben zu führen. Das hängt in erster Linie mit der Wohnungskrise zusammen.

Stephan Hohnerlein darf die von ihm aufgenommenen Haftentlassenen offiziell nur ein Jahr lang ambulant betreuen. Viele könnten nach einem Jahr auch wieder selbstständig leben: „Sie haben die Vergangenheit hinter sich gelassen, stehen nun aber vor dem großen Problem, dass sie keine Wohnung finden.“ Das Problem besteht schon lange. Und wird immer akuter: „Der niedrigpreisige Wohnungsmarkt ist sehr hart umkämpft, immer mehr Leute drängen auf ihn.“ Das setzt die Männer aus dem ambulant betreuten Wohnen immens unter Druck. Spätestens ein halbes Jahr nach dem Einzug wächst die Anspannung spürbar.

Es braucht kein kriminologisches Gespür, um bei einigen Männern vorauszusagen, dass sie es aufgrund der vielfältigen Schwierigkeiten kaum schaffen werden, straffrei zu bleiben. Dass sie wieder hinter Gittern landen. „Einer unserer Klienten hat inzwischen 30 Wohnungen besichtigt, nie ist es etwas geworden“, sagt Stephan Hohnerlein. Dabei ist der Mann fest bei einem Arbeitgeber angestellt. Er hat die Probezeit überstanden. Sein Chef ist zufrieden mit ihm. Er wird die Stelle sicher behalten und könnte die Miete locker bezahlen. Doch keiner will ihn. „Solche Erfahrungen sind äußerst kontraproduktiv für die Resozialisierung“, betont der Leiter der Zentralen Beratungsstelle für Strafentlassene.

Christoph K. hat diese Erfahrung noch vor sich. Im Augenblick ist er nur froh, zu wissen, dass er in einem Monat eigene vier Wände hat. Dass er sich zurückziehen kann. Dass er einen Platz hat, wo er darüber nachdenken kann, wie er sein neues Leben gestalten möchte. Zu wissen, dass es für ihn dank Stephan Hohnerlein einen Ort geben wird, wo er entspannen kann und wo er sich sicher fühlen wird, erleichtert ihn über die Maßen.

Was er getan hatte, war kein Ruhmesblatt für ihn. Ganz und gar nicht. Das ist Christopher K. absolut klar. Schlimmes hat er anderen angetan. Wobei es möglicherweise noch schlimmer war, was er sich selbst damit angetan hatte. „Sein altes Leben ist komplett futsch“, sagt Stephan Hohnerlein. Nun hat Christoph K. den festen Willen, sich ein neues Leben aufzubauen. Stunden über Stunden dachte er in seiner Zelle über sich und sein bisheriges Leben nach. Bitter bereut er, was er getan hatte.

So schwierig Christoph K.s Lebensumstände auch sind: Er gehört keineswegs zu den kompliziertesten von Stephan Hohnerleins Klienten. „Immer mehr unserer Klienten haben massive psychische Probleme“, schildert der Sozialarbeiter. Sie leiden nicht nur an Depressionen. Sondern zum Beispiel an ausgeprägten Verhaltensstörungen wie Borderline. Oder auch an ADHS. „Wegen der Schwere der psychischen Erkrankungen kommen auch wir immer öfter an unsere Grenzen“, sagt der Sozialarbeiter. Die Männer bräuchten dringend psychotherapeutische Hilfe. Doch die Praxen sind bekanntlich überlaufen: „Wir bemühen uns dann, die Männer an sozialpsychiatrische Dienste sowie weitere Fachstellen anzubinden.“

Insgesamt 200 Männer wurden letztes Jahr vom Team der Zentralen Beratungsstelle für Strafentlassene unterstützt. Pro Klient fanden durchschnittlich sieben Beratungsgespräche statt. 62 Männer wurden 2022 bereits mehrere Wochen vor ihrer Haftentlassung beraten. 17 konnten im Betreuten Wohnen aufgenommen werden. Übrigens kann man sich auch via Internet an Stephan Hohnerlein wenden: „Im letzten Jahr kam es zu 75 Online-Kontakten.“

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