„Man behandelt uns wie Hunde“

Durch die Pandemie landen bisher gut situierte Bürger plötzlich auf der Straße

Tim Pfeuffer von der Christophorus- Gesellschaft reicht dem wohnungslosen Roland M. eine Tasse Kaffee. Foto: Stephan Hohnerlein

27. Januar 2021

Würden alle, die hierherkommen, in die Wärmestube wollen, wäre die restlos überfüllt: Bis zu 40 Männer und Frauen nutzen jeden Tag das Angebot der neuen Wärmehalle. Simon T. (Namen aller Gäste geändert) gehört zu ihnen. Seit drei Monaten ist der gelernte Koch obdachlos. „Dass mir das jemals passieren könnte, hätte ich nie gedacht“, sagt der 45-Jährige. Schuld ist die Pandemie. Simon T. verlor seinen Job. Das Geld ging aus. Er konnte die Miete nicht mehr überweisen: „Plötzlich stand ich auf der Straße.“

Die zweite Welle brach ihm das Genick. Hatte sein Chef im Frühjahr noch versucht, die Belegschaft durch Kurzarbeit über die Krise zu retten, blieb ihm beim zweiten Lockdown nur noch die Kündigung seiner Leute übrig. Plötzlich arbeitslos zu sein, war für Simon T. entsetzlich gewesen. Dann kam eins zum anderen. Plötzlich häuften sich daheim die Konflikte. Seine Frau haute ab. Mit dem gemeinsamen Kind. „Binnen kürzester Zeit war meine ganze Existenz im Eimer“, erzählt der Koch.

Wie er gerade existiert, ist mit seinen Vorstellungen vom Leben nicht zu vereinbaren, gibt Simon T. zu. Zu arbeiten, war für ihn immer sehr wichtig gewesen. Üppig hatte es der Koch zwar nie gehabt. Doch das Geld reichte für die Familie. Nichts war normaler gewesen, als eigene vier Wände zu haben. „Jetzt lebe ich in einer Notunterkunft“, erzählt er in der Wärmehalle. Nicht einmal ein Zimmer hat er mehr für sich: „Ich muss es mir mit jemanden teilen.“ Einem „echten“ Obdachlosen. Mit dem kommt Simon T. auch halbwegs klar: „Doch ich bin ja auch nur zum Pennen da.“ Sein Zimmergenosse, deutet er an, gehört zu einer Klientel, mit der er eigentlich nichts zu tun haben möchte.

Neben Simon T. sitzt Lukas F., der gerade ganz schön stinkig ist. „Schau dir das an“, sagt er und hält Simon T. in weitem Abstand von Tisch zu Tisch sein Handy hin. Die Standardmail einer Wohnungsbaugenossenschaft kam gerade rein. Die Zwei-Zimmer-Wohnung, für die sich Lukas F. beworben hat, sei leider an jemand anderes vergeben worden. Lukas F. sucht seit einem halben Jahr nach einem Domizil. Permanent hat der Wohnungslose sein Handy in der Hand, um sich auf freie Wohnungen zu bewerben. Manche Anzeigen bringen ihn total auf. Da heißt es, dass keine Haustiere erwünscht seien. Und keine Hartz-IV-Empfänger.

Simon T. und Lukas F. liegen auf der gleichen Wellenlänge. „Überhaupt habe ich in der Wärmehalle Freunde … na ja, also, ich sag mal, gute neue Bekannte gefunden“, sagt Simon T. Deshalb, aber auch wegen den Haupt- und Ehrenamtlichen kommt er fast täglich in die Posthalle, wo die Wärmehalle zu Jahresbeginn ihre Zelte aufgeschlagen hat. Da ist zum Beispiel Tim Pfeuffer von der Christophorus-Gesellschaft, der ihn vorhin freundlich in Empfang genommen hat. Nette Menschen bieten täglich eine Suppe an. Und Kaffee. Dass es die Wärmehalle gibt, ist der Christophorus-Gesellschaft, Trägerin der Bahnhofsmission und der Wärmestube, sowie der Stadt Würzburg zu verdanken.

Das neue Angebot stößt durchweg auf gute Resonanz bei jenen, die durch die Pandemie in die Bredouille geraten sind. Dazu gehört auch Roland M. Der aus Oberbayern stammende 41-Jährige, der suchtkrank wurde, hat seit längerem keine Wohnung mehr: „Bevor ich auf Langzeittherapie ging, hatte ich meine Wohnung gekündigt.“ Nach der Therapie zog er zu seiner Freundin. Doch das ging nicht lange gut. Ständig kam es zu Streitereien.

Mitte Dezember hielt es Roland M. für an der Zeit, auszuziehen, um den Querelen zu entrinnen. Mit fast nichts landete er auf die Straße. Eine Nacht bei minus drei Grad in einem Würzburger Parkhaus bleibt ihm unvergesslich: „Ich hatte keinen Schlafsack, doch da lagen zum Glück welche von jemand anderem herum.“ Die waren dreckig. Stanken. Egal. Es war saukalt. Roland M. schlüpfte in einen der Schlafsäcke hinein, um die Nacht zu überleben. Am andern Tag kam er in der Kurzzeitübernachtung der Christophorus-Gesellschaft unter. Eine Woche lang konnte er hier schlafen: „Vorgestern zog ich dann in ein Zimmer der Obdachlosenunterkunft in der Sedanstraße.“

Dass seine Not in der Wärmehalle nicht mit einem Achselzucken quittiert wird, weiß der gelernte Maurer zu schätzen. Überhaupt setzt er große Hoffnung darauf, dass man ihm bei der Christophorus-Gesellschaft hilft. Mit mehreren Mitarbeitern ist er in Kontakt. Roland M. hofft, wieder eine Wohnung zu bekommen. Wieder Arbeit zu finden. Doch noch weiß er nicht, wie es weitergehen könnte. Nur eines weiß er: Es muss für ihn weitergehen. Irgendwie: „Mit 41 bin ich doch noch zu jung zum Sterben.“

Nadia Fiedler

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