Menschen ohne Wohnung und die Corona-Krise

Was können wir tun?

Für Menschen ohne festen Wohnsitz ist es derzeit besonders schwer, sich durchzuschlagen. Die Christophorus-Gesellschaft hilft, wo sie kann. Bild: Günther Purlein

Corona betrifft die gesamte Nation. Allerdings jedes Individuum in unterschiedlichem Ausmaß. Wer ein sicheres Einkommen hat und ein Haus besitzt mit mehreren Räumen, Keller und Garten, tut sich leichter, die Ausgangssperre zu ertragen. Jene Menschen, mit denen es die Christophorus-Gesellschaft zu tun hat, haben dieses Glück nicht. Sie sind arm. Leben in prekären Umständen. Oder auf der Straße. „Für sie halten wir unsere Dienste aufrecht“, betont Fredy Arnold von der gemeinnützigen GmbH.

Den diesjährigen März werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Christophorus-Gesellschaft sicher niemals vergessen. Von jetzt auf nachher mussten sämtliche Abläufe geändert werden. Dies hat rasch und reibungslos funktioniert, und zwar aufgrund der Tatsache, dass die ökumenische Organisation vor Jahren schon darangegangen war, ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) aufzubauen. „Das haben wir nun zu einem Krisenstab umfunktioniert“, so BGM-Beauftragter Fredy Arnold. In der ersten Woche, in der sich die Probleme häuften, kam das siebenköpfige Gremium jeden Tag zusammen.

Wie kann man Bedürftige in der Corona-Krise so optimal wie möglich unterstützen? Viele Stunden wurde über diese Frage diskutiert. Schnell war klar, so Fredy Arnold, dass die Bahnhofsmission weiterhin Essen ausgeben muss: „Denn die allermeisten Menschen, die zu uns kommen, sind darauf existenziell angewiesen.“ Inzwischen wandern täglich Lebensmittel über die Theke der Bahnhofsmission: „Und zwar drei Stunden am Vormittag und drei am Nachmittag.“ Rund 60 Lebensmittelrationen werden jeden Tag ausgegeben. Jeweils nur eine Person darf in die Bahnhofmission gehen, um das Essen in Empfang zu nehmen. Ist sie draußen, darf die nächste hinein.

Die Essensausgabe ist ein Lichtblick, in der ansonsten meist völlig trostlosen Situation von Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben oder in einer Obdachlosenunterkunft leben. Noch ungelöst ist laut Arnold das Problem, wo Menschen ohne festen Wohnsitz auf Toilette gehen können: „Denn nun sind alle bislang genutzten Lokale und Geschäfte zu.“ Arnold: „Deshalb müssten in der Stadt dringend mobile WCs  (nicht nur) für diese Menschen aufgestellt werden.“ Wie viele Betroffene es gibt, kann Arnold nicht genau sagen. Es sollen um die zwei Dutzend sein.

Die Pandemie und die mit ihr verbundenen, harschen Einschränkungen macht Menschen in Obdachlosenunterkünften besonders schwer zu schaffen. Sie leben dort beengt und umgeben von Männern und Frauen, die eine Menge sozialer und emotionaler Probleme haben. Viele trinken. Nicht wenige neigen zu Aggressivität. Das kann zu Eskalationen führen. In der Bahnhofsmission gibt es deshalb eine Option. Hier können nach wie vor zwei Frauen in zwei getrennten Räumen übernachten. Für diese Frauen ist es auch möglich, die Toilette zu benutzen und am nächsten Morgen zu duschen.

Nach wie vor haben Menschen Probleme, einen Kredit zurückzuzahlen oder andere Schulden zu tilgen. Daran hat die Corona-Krise nichts geändert. Im Gegenteil, so Arnold: „Die telefonische Beratung unserer Schuldnerberatung läuft auf Hochtouren.“ Das Team rechnet mit einem deutlichen Anstieg der Beratungsfälle in drei bis vier Wochen: „Sehr viele Familienbetriebe und Kleinunternehmer könnten aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation in große finanzielle Schwierigkeiten geraten.“ Auch in diesem Bereich wird umstrukturiert, um den Betroffenen bestmöglich zu helfen. Arnold: „Wir versuchen, noch mehr Dienstleistung in der Schuldnerberatung anzubieten.“

Ausgehverbote oder gar Quarantäne werden umso unerträglicher, je weniger Bewegungsfreiheit dort, wo ein Mensch lebt, zur Verfügung steht. Genau dies bekommt das Personal des Johann-Weber-Hauses zu spüren. In dieser sozialtherapeutischen Einrichtung der Christophorus-Gesellschaft leben Menschen, die mehrere Jahre auf der Straße verbracht haben und sich nun wieder gesellschaftlich integrieren wollen. Ihnen steht, neben einem großen Aufenthaltsraum, ein kleines Zimmer zu Verfügung. Dies ist okay, solange man den Aufenthaltsraum ganz normal nutzen und in der angegliederten Werkstatt arbeiten kann. Beides geht nun nicht mehr.

Die Mitarbeiter des Johann-Weber-Hauses haben einen ganz besonders fordernden Job, betont Fredy Arnold: „Sie bekommen sehr viel Unmut der Bewohner wegen der räumlichen Enge ab.“ Etwas ruhiger geht es in der Wallgasse - in der Kurzzeitübernachtung für Männer - zu. Nach wie vor werden hier bis zu sechs Männer, die nachts nicht im Freien schlafen wollen, aufgenommen. Jeder schläft separat in einem Zimmer. Bislang reichten die Kapazitäten auch gut aus, um die Nachfrage zu decken. Falls nicht, bekommt der Nachtdienst Hilfe von der Stadt und kann die Männer in die Obdachlosenunterkunft schicken, die seit acht Tagen ebenfalls einen Nachtdienst vorhält.

Fredy Arnold ruft derzeit in aller Regel zweimal am Tag in allen Einrichtungen der Christophorus Gesellschaft an, um sich nach der jeweiligen Situation zu erkundigen. Alle liefern täglich um 14 Uhr einen Lagebericht mit aktuellen Zahlen und Vorkommnissen. Daraus ersieht der BGM-Beauftragte zweierlei. Zum einen gelingt es tatsächlich, arme Menschen in der Krisensituation zu unterstützen. Zum anderen zeigen die Lageberichte aber auch, wie hoch die psychische Belastung der Beschäftigten ist. Sich um Wohnungslose und Verarmte zu kümmern, ist grundsätzlich stressig, sagt Arnold: „Doch was unsere Mitarbeiter jetzt leisten und auch leisten wollen, ist Stress hoch zehn.“

Günther Purlein

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