Mit der Wucht der Welt konfrontiert

Der ehemalige Gefangene Daniel B. baut sich Schritt für Schritt ein neues Leben auf

Michael Thiergärtner von der Zentralen Beratungsstelle für Wohnungslose (ZBS) der Christophorus-Gesellschaft verabschiedet sich nach einem Beratungsgespräch von Daniel B., Klient im Betreuten Wohnen. Bild: Günther Purlein

Diesmal will er es packen. Das hat Daniel B. fest vor. Er will nie mehr handgreiflich werden. Will von eigenem Geld leben. Möchte irgendwann eine eigene Wohnung haben. Vor allem will er für immer seine Finger von Drogen lassen. „Ich trinke nicht einmal mehr Alkohol“, sagt der 32-Jährige, der vor zweieinhalb Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde und seitdem vom Team der Würzburger Christophorus-Gesellschaft unterstützt wird.

32 Monate saß Daniel B. hinter Gittern. Den Tag der Entlassung wird er nie mehr aus seinem Gedächtnis tilgen können. Nach fast zwei Jahren, in denen er von allem abgeschieden war, knallte ihm plötzlich die Welt mit Wucht entgegen. „Alles war so viel und so laut, die Menschen so hektisch, alles war der totale Stress“, erzählt er. Dabei wurde er nicht einmal in eine lärmige Großstadt hinein entlassen. Doch selbst im Vergleich zu einem so geruhsamen Ort wie Würzburg erschien der Knast Daniel B. in puncto Getriebigkeit als Oase. Niemals, denkt der junge Mann im Rückblick, hätte er alleine wieder Fuß fassen können.

Daniel B.s Startbedingungen nach der Haftentlassung waren denkbar ungünstig: „Ich hatte keine Wohnung mehr und keine Freunde.“ Mangels Qualifikation hätte er auch nicht irgendwo in einen Job einsteigen können. Dass der junge Mann trotz seiner Intelligenz keinen Berufsabschluss hat, liegt an seiner psychischen Erkrankung. Daniel B. leidet an ausgeprägter ADHS. Niemand sei früher mit ihm zurechtgekommen, erzählt der gebürtige Unterfranke. Nicht die Eltern. Nicht die Lehrer. Selbst das Jugendamt sei mit ihm überfordert gewesen. Mit zehn Jahren kam Daniel B. in die Kinder- und Jugendpsychiatrie, danach ins Kinderheim.

Daniel B. lernt nach und nach, sein Leben in den Griff zu bekommen. Zunächst durchlief er zwei Jahre lang die Sozialtherapie im Johann-Weber-Haus für Strafentlassene und Wohnungslose der Christophorus-Gesellschaft. Am 15. April wechselte er nahtlos ins Betreute Wohnen. „Ich bekomme allmählich ein Gespür, wie sich ein ganz normales Leben anfühlt“, sagt der Würzburger, der jahrelang in großem Stil mit Drogen dealte und dadurch selbst schwer suchtkrank wurde. Daniel B. schmunzelt: „Ganz normal zu leben, fühlt sich richtig super an.“

Zu kämpfen hat Daniel B. noch immer mit seinem schwer unterdrückbaren Hang, aufzubrausen und rabiat zu werden. „Das passiert, wenn mir irgendetwas unlogisch erscheint oder wenn ich etwas als ungerecht empfinde“, erklärt er. Schon im Gefängnis nahm er an einer Gruppe teil, um zu lernen, seine Aggressionen zu beherrschen. Seit er wieder in Freiheit ist, wird er ambulant therapiert. Daniel B. versteht durch die Therapie immer besser, warum sein Leben so chaotisch verlief. Er weiß, was er hinnehmen muss. Etwa seine ADHS. Und was er ändern kann.

Alles, was zu ändern in seiner Macht steht, möchte Daniel B. ändern. Diesen Willen und diese Motivation hat er mit allen Männern aus der Maßnahme „Betreutes Wohnen“ der Christophorus-Gesellschaft gemeinsam. Bis zu acht Klienten werden für durchschnittlich ein Jahr aufgenommen. Die Wohnungen, in denen sie betreut werden, sind über die ganze Stadt verteilt. „Es sind völlig normale Wohnverhältnisse mit völlig normalen Adressen“, sagt Michael Thiergärtner, der als Leiter der Zentralen Beratungsstelle für Wohnungslose (ZBS) der Christophorus-Gesellschaft auch für das Betreute Wohnen zuständig ist.

Außenstehenden zu vermitteln, warum es ein Betreutes Wohnen braucht, ist nicht immer leicht, sagt Daniel B. Wohnen – das ist doch keine große Sache. Wohnen, das muss doch jeder irgendwo. Das macht man halt. „Doch für mich war das alles andere als einfach“, sagt Daniel B. Damals, als er noch Crystal Meth konsumierte und wegen seiner „Dealerfähigkeiten“ der King in der Szene war, lebte er in einer total vermüllten Bude: „Das war echt richtig messiemäßig.“ Auch Ämterkram hatte Daniel B. nie auf die Reihe gekriegt.

Daniel B., der auf den ersten Blick ganz und gar nicht labil erscheint, der kräftig, voller Tatendrang und lebenslustig wirkt, musste sich mühsam aus tiefstem Sumpf zurück ins Leben kämpfen. Viel hat er schon geschafft. Nun bleibt eine letzte Etappe zu bewältigen: „Ich will einen festen Job haben.“ Das scheint auch realistisch. Allerdings steht noch ein amtsärztliches Gutachten aus. Denn so robust, wie Daniel B. wirkt, ist er nicht. Das Leben hat Spuren hinterlassen. Zwei Herzinfarkte liegen hinter dem jungen Mann. Und zwei Bandscheibenvorfälle.

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