Mit Perspektive entlassen

Christophorus-Gesellschaft kümmert sich um Strafgefangene nach der Haft

Werner Schühler von der Christophorus-Gesellschaft bespricht mit einem Strafentlassenen die nächsten Resozialisierungsschritte. Bild: Günther Purlein

Würzburg. Immer, wenn Manuel Thaler alles zu viel wurde, seilte er sich ab. Er ließ in der Wohnung alles stehen und liegen und zog los. In den Städten, in die er ankam, nahm er sich ein Hotelzimmer. Am nächsten Morgen verschwand er, ohne zu zahlen. Vor zweieinhalb Jahren wurde er verhaftet. „Wegen Einmietbetrug verurteilte man ihn zu mehr als zwei Jahren Gefängnis“, berichtet Werner Schühler, der bei der Christophorus-Gesellschaft für das Übergangsmanagement für Strafentlassene zuständig ist.

Werner Schühler lernte Manuel Thaler zu Jahresbeginn in der Justizvollzugsanstalt (JVA) kennen. „Die Sozialarbeiter der JVA meinten, dass er wohl gut für unser ambulant bereutes Wohnen geeignet wäre“, erzählt der Leiter der Zentralen Beratungsstelle für Strafentlassene (ZBS). Drei Mal besuchte Schühler den 40 Jahre alten Häftling. Der sehnte sich danach, endlich einmal ein ganz normales Leben zu führen. Und willigte deshalb in die Maßnahme ein.

Die ökumenische Christophorus-Gesellschaft verfügt aktuell über 35 Wohnungen für Menschen, die wohnungslos oder inhaftiert waren, wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden möchten, aber noch keine eigenen vier Wände gefunden haben. „Vier dieser Wohnungen finanziert der Bayerische Landesverband für Gefangenenfürsorge und Bewährungshilfe“, erläutert Schühler, In eines dieser vier möblierten Ein-Zimmer-Apartments zog Manuel Thaler vor wenigen Monaten ein.

Der gelernte Handwerker war zunächst ziemlich skeptisch. „Ich werde Sie regelmäßig in der Wohnung besuchen“, hatte ihm Werner Schüher bereits in der JVA angekündigt. Da hatte Thaler schlucken müssen. Schon wieder Kontrolle! Dass sich fremde Menschen in sein Leben einmischen, kennt er zur Genüge. Nachdem sich seine Eltern nicht um ihn gekümmert hatten, kam er schon als Kind in ein Heim. Dort litt er oft darunter, dass er sich ständig fügen musste. Bis zur Volljährigkeit war er in wechselnden Betreuungen. Fremdbestimmung hatte er nun auch zwei Jahre lang hinter Gittern erlebt. Nun also wieder eine „Maßnahme“.

Heute ist Manuel Thaler überaus dankbar, dass sich Werner Schühler um ihn kümmert. Denn es ist für ihn alles andere als leicht, in Freiheit klarzukommen. Zwar fand er sehr schnell einen Job über eine Zeitarbeitsfirma. Doch auf der Arbeit ging so viel schief, dass er nach einem Monat wieder entlassen wurde.

Das war ein ungeheurer Tiefschlag für Thaler. Am liebsten wäre er, wie früher, getürmt. Immerhin: Das tat er nicht. Doch er leitete auch nicht die nächsten Schritte ein, um seine Existenz zu sichern, schildert Schühler: „So ging er nicht zur Arbeitsagentur, um sich arbeitslos zu melden.“ Thaler lag tagelang auf seinem Bett. Und grübelte.

Nun muss er sehen, wie er mit der Sperre der Arbeitsagentur klarkommt. Auch gibt es noch Schulden zu regulieren: „Es sind Gerichtskosten in Höhe von rund 5.000 Euro offen“, so sein Übergangsmanager. Nach wie vor ist Thaler manchmal alles zu viel. So dass er schon zweimal zu Werner Schühler sagte: „Am liebsten wäre ich wieder im Knast.“

Dennoch sind seine Perspektiven gut. Er hat, anders als viele andere Strafentlassene, um die sich die Christophorus-Gesellschaft kümmert, einen Beruf: „Andere haben nicht einmal einen Schulabschluss.“ Auch ist er nicht, was ebenfalls ein Problem anderer Strafentlassener ist, von legalen oder illegalen Betäubungsmitteln abhängig. Seine Wohnung ist stets auf Hochglanz gewienert, wenn Schühler in besucht. Thalers größtes Problem ist seine geringe Frustrationstoleranz: Dass etwas schiefgeht, damit kann er nur ganz schlecht umgehen. Hieran arbeitet Schühler indirekt bei jeder einzelnen Begegnung.

Ohne die Christophorus-Gesellschaft hätte Thaler nach der Haftentlassung kaum eine Perspektive gehabt. Schühler: „Er wäre wohl in eine Obdachlosenunterkunft gekommen.“ Niemand hätte sich dort mit ihm hingesetzt, um Bewerbungsschreiben zu formulieren. Niemand hätte ihm nach dem Scheitern des ersten Jobs Mut gemacht, es auf jeden Fall noch einmal zu probieren. Und niemand würde mit ihm, was im kommenden Jahr ansteht, auf die Suche nach eigenen vier Wänden gehen.

Günther Purlein

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