„Ob er mir verzeihen wird?“
JVA Würzburg engagiert sich gemeinsam mit der Christophorus-Gesellschaft für Täter-Opfer-Ausgleich hinter Gittern
16.09.2024
Er wirkt ganz schön hart. Wie jemand, den nicht viel erschüttern kann. Cool tritt er auf. Doch das täuscht. Im Grunde ist Tobias T. (Name geändert) ganz schön sensibel. Im Moment treibt ihn etwas schrecklich um: Er hat einen anderen Menschen räuberisch erpresst. Weshalb er gerade in Untersuchungshaft sitzt. Die Sache tut ihm inzwischen ungeheuer leid. Er würde sich gerne bei dem Opfer entschuldigen. Deshalb entschied er sich für einen Täter-Opfer-Ausgleich (TOA). Aus dem Gefängnis heraus.
Seit 1994 ist es möglich, dass sich Täter und Opfer einer Straftat treffen, um gemeinsam über das Delikt und um über entstandene Schäden zu sprechen. Ziel ist es, außerhalb eines Strafverfahrens eine Lösung zu finden, mit der beide Seiten leben können. Was eine „gute“ Lösung ist, das entscheiden die Betroffenen beim TOA selbst. Richtern ermöglicht der Täter-Opfer-Ausgleich die Strafe zu mildern oder von einer Bestrafung abzusehen.
Auch wenn es das Instrument seit 30 Jahren gibt, ist es weithin unbekannt. Der Täter-Opfer-Ausgleich wird nicht einmal bei einem Prozent aller ermittelten Straftaten in Deutschland angewendet. Experten gehen davon aus, dass TOA jedoch bei zehn Prozent aller Fälle erfolgversprechend wäre.
Noch viel unbekannter ist die Möglichkeit, aus der Justizvollzugsanstalt heraus einen Täter-Opfer-Ausgleich auf den Weg zu bringen. In Würzburg gibt es nun einen ersten Fall. Dass es ihn gibt, ist zumindest indirekt Navina De von der Würzburger Christophorus-Gesellschaft mit zu verdanken.
Navina De bietet Schuldnerberatung in der Würzburger Justizvollzugsanstalt an. Sie hat es also mit Menschen zu tun, die irgendetwas verbrochen haben. Die deswegen eine Haftstrafe verbüßen müssen. Und die irgendwann draußen ein neues Leben anfangen wollen. Das gelingt umso wahrscheinlicher, je besser ihre finanzielle Situation ist. Durch Schuldnerberatung bereits im Gefängnis sorgt Navina De für verbesserte Resozialisierungschancen nach der Haftentlassung.
“Wir haben uns bisher immer nur um die Täter gekümmert, doch dann kamen wir auf den Gedanken, was denn eigentlich mit den Opfern ist“, schildert die Schuldnerberaterin. Aus dieser Überlegung heraus stieß sie auf TOA. Und darauf, dass es dem Strafvollzugsgesetz zufolge möglich ist, einen Täter-Opfer-Ausgleich auch nach einem Verfahren und nach einer Verurteilung zu initiieren.
Zufällig zeitgleich war Sozialpädagogin Brigitte Neugebauer als TOA-Kontaktbedienstete dabei, das Instrument “Täter-Opfer-Ausgleich” in der Würzburger JVA zu etablieren. Die beiden Frauen taten sich zusammen, um im ersten Schritt einen gemeinsamen Fachtag zu planen. Der fand im Oktober 2023 statt. “Wir wollten uns umfassend über den Täter-Opfer-Ausgleich informieren”, so Navina De.
Damit die neuen Ideen in der JVA Fahrt aufnehmen konnte, wurden in den verschiedenen Abteilungen Flyer ausgelegt. Auf so einen Flyer stieß irgendwann Tobias T. Er wandte sich daraufhin an Brigitte Neugebauer und bat sie, mit ihm zusammen einen Täter-Opfer-Ausgleich auf den Weg zu bringen. Dies geschah dann auch. Und zwar mithilfe des Münchner Vereins “Ausgleich e.V.”. Der prüfte, ob sich der Fall für einen Täter-Opfer-Ausgleich eignete. Und brachte Tobias T.s Strafverteidiger mit dem Opferanwalt in Kontakt. Beide tüftelten eine Regelung zum finanziellen Ausgleich aus, mit der Opfer und Täter einverstanden waren.
Doch damit ist Tobias T. noch nicht ganz zufrieden. Immer wieder spukt ihm der Mann, den er erpresst hatte, durch den Kopf. Ob der ihm jemals verzeihen würde? Ob er eine Entschuldigung annehmen könnte? „Mir sagte er, dass er haben möchte, dass das Opfer keine Angst mehr vor ihm hat“, berichtet Brigitte Neugebauer.
In welcher Form sich der Untersuchungshäftling bei seinem Opfer entschuldigen kann, steht im Moment noch nicht fest. Doch auch hierzu verhandeln Tobias T.s Strafverteidiger und der Anwalt des Opfers. Tobias T. hofft, dass beide bald eine Lösung finden. Im Rückblick versteht er überhaupt gar nicht, was ihn geritten hatte, so etwas Schlimmes zu tun. “Er ist über sich selbst erschrocken“, sagt Brigitte Neugebauer.
Tobias T. befand sich nach ihren Worten zu jener Zeit in einer emotionalen Ausnahmesituation: “Familiäre Probleme und Schulden waren schon eine lange Zeit präsent.” Das war enorm belastend für ihn gewesen. Er trank in dieser Zeit viel. Er konsumierte Drogen. Dann ergab es sich irgendwie, zusammen mit einem Kumpel dieses Ding zu drehen. Ohne allzu viel nachzudenken, machte Tobias T. bei dieser teuflischen Geschichte mit.
Für Navina De und Brigitte Neugebauer ist es schön, einen ersten Gefangenen zu haben, der sich auf einen Täter-Opfer-Ausgleich einlässt. Beide sind gespannt, wie attraktiv das Instrument in Zukunft für Gefangene sein wird. Navina De hat auf jeden Fall die Möglichkeit eines TOA im Hinterkopf, wenn sie überschuldete Gefangene berät.
Zwar scheint es nicht so viel zu bringen, sich mit dem Opfer zu verständigen, wenn man bereits verurteilt ist und im Knast sitzt. Doch möglicherweise ist Tobias T. nicht der einzige Gefangene, der sich große Schuldvorwürfe macht. Und der nur einen Wunsch hat: Die Sache, soweit es geht, zu bereinigen. Um endlich wieder mit sich selbst im Reinen zu sein.
Text: Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft