„Oft fangen wir bei Null an“

Das Würzburger Johann-Weber-Haus ist personell am Limit angekommen

Claudia Scheb und Johannes Kopf vom Würzburger Johann-Weber-Haus besprechen den Fall eines Klienten mit hochkomplexer Problematik.
Claudia Scheb und Johannes Kopf vom Würzburger Johann-Weber-Haus besprechen den Fall eines Klienten mit hochkomplexer Problematik. Bild: Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft gGmbH

Es gibt Dinge, die, weil man sie nicht kaufen kann, von unschätzbarem Wert sind. Das Glück, in einer harmonischen Familie aufzuwachsen, gehört dazu. Freunde. Zuneigung. Liebe. Ein erfüllender Beruf. Von den 28 Männern, die gerade im Würzburger Johann-Weber-Haus sozialtherapiert werden, kennen die wenigsten auch nur Spuren dieses Glücks. „Fast jeder hat zum Beispiel die Erfahrung hinter sich, dass die Familie zerbrochen ist“, sagt Einrichtungsleiterin Claudia Scheb.

Anders als vor 20 Jahren, als Männer nach einer konkreten Krisensituation kamen, doppeln sich die Probleme der Klienten heute nicht nur, sondern es sind oft drei, vier oder noch mehr „Baustellen“ zu bearbeiten. „Unsere Männer kennen keine Phasen eines normalen Lebens“, sagt Scheb. Während das Team jene Klienten, die früher nach Arbeitsplatzverlust oder Scheidung ins Johann-Weber-Haus kamen, relativ schnell wieder aufbauen konnte, ist nun intensive Unterstützungsarbeit nötig. Das geht mit dem vorhandenen Personal nicht mehr. „Insgesamt bräuchten wir zwei Vollzeitstellen mehr“, sagt Johannes Kopf, der sich die Einrichtungsleitung mit Claudia Scheb teilt.

Die Sozialarbeiter des Hauses müssen nach der Neuaufnahme eines Klienten im ersten Schritt aus dem Problembündel die wesentlichen Punkte herauskristallisieren und überlegen, wie die einzelnen Schwierigkeiten am besten angepackt werden könnten. Rund um das sozialarbeiterische Tun ist jedoch viel zu erledigen, wofür es keine fundierte sozialpädagogische Ausbildung braucht. Vor allem hier wäre Verstärkung wichtig. „Dass so viel zu tun ist, liegt daran, dass wir bei vielen unserer Klienten wirklich von Null anfangen müssen“, so Claudia Scheb. Die Männer wissen nicht, wie man einen Tag strukturiert. Einige waren noch nie beim Zahnarzt.

Angesichts der vielfältigen Probleme liegt es auf der Hand, dass man den Resozialisierungsprozess nicht übers Knie brechen kann. Die Männer bleiben daher heute auch deshalb viel länger im Johann-Weber-Haus als früher, weil das psychosoziale System derzeit überlastet ist. „Es dauert, bis wir unsere Klienten in adäquate Hilfemaßnahmen weitervermittelt haben“, so Claudia Scheb. Viele der aktuell zwischen 22 und 69 Jahre alten Klienten haben psychische Probleme. Sie leiden unter ADHS. Depressionen. Bipolaren Störungen. Doch beim Psychotherapeuten gibt es oft erst nach mehreren Monaten einen Termin.

Das geht schon viel zu lange so und die Frage muss erlaubt sein, ob es denn sinnvoll ist, chronisch zu wenig Hilfe zu leisten. Johannes Kopf schaut aus dem Fenster seines Büros direkt auf den Eingang des Würzburger Hauptbahnhofs: „Fast jeden Tag fährt hier der Rettungswagen vor, weil irgendjemand Drogen überdosiert hat.“ Das kostet. Auch Aufenthalte im Gefängnis kosten. Nicht arbeiten zu können, kostet. Maßnahmen abzubrechen kostet. Im Vergleich dazu würde es kaum ins Gewicht fallen, zwei Stellen mehr im Johann-Weber-Haus zu schaffen. Denn das könnte Drogenkonsum reduzieren. Vor Gefängnis bewahren. Und Kosten senken.

Dass sehr häufig das, was ansteht, im Galopp erledigt werden muss, sorgt für ein permanentes Gefühl von Unzufriedenheit im Team. Als Expertinnen und Experten wissen die Mitarbeiter des Johann-Weber-Hauses schließlich ganz genau, was die Männer eigentlich bräuchten. Sie bräuchten vor allen Dingen viel Zeit, um sich einmal auszusprechen. „Die meisten sind traumatisiert, was sich im Alltag mitunter desaströs auswirkt“, sag Claudia Scheb. Da gibt es Männer, die nicht nur von einer Person in ihrer Familie sexuell oder seelisch missbraucht wurden. Sondern vom Onkel. Vielleicht von einem Bruder. Oder auch von der Mutter.

Einige Männer haben die Erfahrung hinter sich, dass sie aus der Schule herausgenommen wurden. Manche wuchsen für ein paar Jahre in einer Pflegefamilie oder im Kinderheim auf. Sehr häufig machten sie schon in jungen Jahren Bekanntschaft mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ständige Wechsel der Umgebung waren eher die Normalität, nicht die Ausnahme. Kontinuität gab es kaum. Dafür ständig Kontaktabbrüche und verheerende Konflikte. Sozialarbeiterisch und therapeutisch wäre es möglich, diese Schwierigkeiten, so gravierend sie auch sind, zu bearbeiten. Allerdings nur bei ausreichend Ressourcen, so Claudia Scheb: „Und nicht mit einem Rumpfangebot.“

Sie und ihr Kollege Johannes Kopf hoffen, dass sich die Kostenträger bei der nächsten Pflegesatzverhandlung vor Augen halten, dass es sich in summa auf jeden Fall lohnt, mehr in das Johann-Weber-Haus zu investieren. Und zwar auch in Zeiten, die aufgrund multipler Krisen finanziell äußerst schwierig sind. Mehr noch: Gerade jetzt müsste investiert werden. Denn die krisenbedingten Unsicherheiten belasten das Klientel, für das die beiden Sozialarbeiter zuständig sind, zusätzlich noch.

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