„Ohne Kontakte gehst du kaputt“

FSJler erfahren von Wärmestuben-Besucher Berti mehr über das Leben auf der Straße

Gebannt lauschten die FSJler, was Wärmestuben-Besucher Berti über das Leben auf der Straße erzählt. Bild: Günther Purlein

Würzburg. Sich ohne Geld durchschlagen zu müssen, ist beschwerlich. Kein festes Dach über dem Kopf zu haben, kann gerade bei unwirtlichem Wetter extrem belastend sein. Doch das schlimmste ist Einsamkeit. „Ohne soziale Kontakte gehst du auf der Straße kaputt“, sagt Berti. Eben deshalb komme er seit drei Jahren in die Wärmestube, schilderte der Wohnungslose bei einer alternativen Stadtführung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Unterfranken.

20 junge Leute, die in einer Einrichtung des Paritätischen ein Freiwilliges Soziales Jahr ableisten, ließen sich von Berti einen halben Tag lang zu Plätzen führen, wo man in Würzburg Wohnungslose und sehr arme Menschen trifft. Vor allem die ökumenische Christophorus-Gesellschaft bietet diesen Personen Anlaufstellen an. Die FSJler lernten bei der Stadtführung unter anderem die Bahnhofsmission und die Wärmestube kennen. Was sie sahen, beeindruckte sie. „Nie hätte ich gedacht, dass Orte, wo Obdachlose hinkommen, so gut ausgestattet, so hell und freundlich sind“, meint die 20-jährige Eva.

Von Berti war Eva regelrecht hingerissen: „Der ist richtig süß! So hätte ich mir niemals einen Obdachlosen vorgestellt.“ Eva hatte bisher geglaubt, dass Menschen, die auf der Straße leben, verschlossen und scheu sind: „Es heißt, sie schämen sich.“ Berti hingegen zeigte weder Scheu noch Scham. Auf alle Fragen antwortete er. Mit Humor und einem gehörigen Schuss Ironie gab er Einblicke in die, wie er es nannte, „Subkultur Würzburgs“.

Vor allem auf „seine“ Wärmestube singt Berti gern ein Loblied: „Nennt mir mal irgendeinen Platz in Würzburg, wo man für 30 Cent Kaffee bekommt!“ Und wo muss man lediglich 2,50 Euro parat haben, um seine Wäsche waschen und trocknen zu können? „Das gibt es in keinem Waschsalon!“ Während die Wäsche schleudert, ist es möglich, sich selbst unter der Dusche gründlich zu reinigen.

Geleitet wird die Wärmestube von Christian Urban. An ihn können sich Besucher wenden, wenn sie in irgendwelchen Schwierigkeiten stecken. Sei es, dass sie die Miete nicht mehr zahlen können. Sei es Ärger mit Familienmitgliedern. Oder auch gesundheitliche Probleme. Hilfe, so der Sozialpädagoge, wird in der Wärmestube allerdings niemandem aufgedrängt: „Wir sind ein passiver Aktivraum.“ Das bedeutet, dass jeder, der das möchte, in der Wärmestube völlig in Ruhe gelassen wird. Auch wenn er sichtliche Probleme hat: „Viele unserer Besucher trinken.“ Wer aber Hilfe möchte, vielleicht, um der Sucht zu entrinnen, bekommt sie.

Zwischen 50 und 55 Menschen, zehn Prozent davon Frauen, besuchen die Wärmestube pro Tag. Wobei es Tage gibt, an denen nur zwei Dutzend Menschen kommen. An anderen Tagen erscheinen fast 100. Das ist zum einen vom Wetter abhängig - bei schlechtem Wetter ist die Einrichtung tendenziell voller als bei strahlendem Sonnenschein. Weiter hängt es davon ab, wie weit der Monat fortgeschritten ist, erzählt Berti: „Am Anfang des Monats kommen etwas weniger Leute. Da gibt es Geld. Gegen Ende des Monats haben wir meist sehr viel Besucher.“

Für die FSJler war es vor allem auch interessant, zu hören, dass die Wärmestube eine Einrichtung ist, in der sich man sich ehrenamtlich engagieren kann. Aktuell wird die Anlaufstelle der Christophorus-Gesellschaft von fast 30 freiwillig tätigen Männern und Frauen unterstützt. „Um die 15 leisten Thekendienst“, so Urban. Sie schauen, dass immer Kaffee da ist, sie geben Brote aus, nehmen Gepäckstücke zur Aufbewahrung an und bereiten im Ofen auch schon einmal eine Mahlzeit zu, wenn ein Besucher keinen Backofen besitzt.

Selbst ärztlichen, zahnärztlichen und juristischen Rat gibt es in der Wärmestube. „Die Einrichtung ist für uns Obdachlose eine Art Rundum-Sorglospaket“, so Berti. Die ehrenamtlich tätigen Ärzte kümmern sich um die Männer, wenn sie sich unwohl fühlen. Einmal im Monat schaut eine Zahnärztin nach, ob mit den Zähnen noch alles in Ordnung ist. Zweimal in der Woche kommt Bruder Tobias von der Würzburger Straßenambulanz in der Wärmestube vorbei.

Für Naim aus Tadschikistan, der in der Hohenrother SOS-Dorfgemeinschaft ein FSJ ableistet, war es ebenso beeindruckend wie für Eva, zu hören und zu sehen, welche Infrastruktur es für Menschen am Rande der Gesellschaft gibt. Auch Naim hatte nie zuvor einen Obdachlosen gesprochen. Nur gesehen hat er schon mehrere Menschen, die in der Fußgängerzone sitzen und betteln. An denen wird er künftig anders vorbeigehen. Mit einem anderen Blick auf das dahinter liegende Schicksal. Und einem neuen Wissen darüber, was es bedeutet, wohnungslos zu sein.

Günther Purlein

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