Schulden tilgen gelingt so kaum
Experten diskutieren in Würzburg über Schuldnerberatung in der Straffälligenhilfe

Würzburg. Von Mindestlohn können Menschen hinter Gittern nur träumen. Manchmal gibt es für eine Stunde Arbeit nicht viel mehr als einen Euro. Im allerbesten Fall verdient ein Häftling am Tag um die 16 Euro. Selbst wenn er mehrere Jahre im Gefängnis sitzt, kann er also kaum etwas ansparen. Geschweige denn, dass er imstande wäre, seine Schulden abzubauen, erläuterte der Würzburger Strafrechtler Klaus Laubenthal bei der 2. Bundesfachtagung „Schuldnerberatung in der Straffälligenhilfe“.
Mehr als 100 Fachleute waren im April für zwei Tage zu der von der Christophorus-Gesellschaft mitorganisierten Fachtagung nach Würzburg gekommen, um sich darüber auszutauschen, wie es besser gelingen kann, mit der Schuldenproblematik straffällig gewordener Menschen umzugehen. Dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zufolge sind mehr als 60 Prozent aller Inhaftierten überschuldet. Die meisten Gefangenen nehmen ihre Schulden nach Verbüßung ihrer Haftstrafe mit nach draußen. Das erschwert die Resozialisierung enorm, wurde in den einzelnen Fachvorträgen deutlich.
Der Sozialethiker Franz Segbers von der Universität Marburg beleuchtete den Aspekt, dass unser Wirtschaftssystem darauf aufgebaut ist, dass Menschen sich verschulden. Wer kann schon ein Eigenheim aus der Portokasse zahlen? Schulden an sich sind zunächst nichts Negatives, immerhin werden knapp 98 % der geliehenen Gelder von den Schuldnern zurück bezahlt, und der Geldgeber macht in aller Regel damit sehr gute Geschäfte. Verschuldung ist daher keine ethische Frage, sondern unserem Wirtschaftssystem immanent. Dementsprechend sollte mit den Menschen umgegangen werden, die aus vielfältigen Gründen nicht mehr in der Lage sind, ihre Verbindlichkeiten zu bedienen.
Für Klaus Laubenthal, der an der Universität Würzburg Strafrecht lehrt, ist nicht nur die extrem geringe Entlohnung in der Justizvollzugsanstalt problematisch. Hinzu kommt, dass Arbeit nicht als etwas vermittelt wird, das dazu beitragen kann, die eigenen Lebensumstände zu verbessern. Die Motivation Würzburger Häftlinge, in der gefängniseigenen Schlosserei, in der Kfz-Werkstatt oder Wäscherei zu arbeiten, resultiert vor allem daraus, dass sie sonst 23 Stunden am Tag in ihrer Zelle eingeschlossen wären. Wird der Häftling krank, entfällt sein Verdienst. Rentenansprüche erwirbt er nicht.
Viele Gefangene verlassen die Haftanstalt mit noch mehr Schulden als zuvor, müssen sie doch auch noch die Kosten für das Strafverfahren tragen, führte der Kriminologe aus. Mit wenig oder gar keinen finanziellen Mitteln versuchen sie „draußen“, sich eine neue Existenz aufzubauen. Für viele ist es sehr schwer, eine Wohnung und eine Arbeit zu bekommen. All dies verhindert, dass die Betroffenen gesellschaftlich Fuß fassen. Überschuldung ist damit ein wesentlicher Bestandteil des sogenannten Drehtüreffekts: Aus Armut werden die Betroffenen neuerlich straffällig.
Wir fragwürdig mitunter Haftstrafen sind, zeigte die Rechtswissenschaftlerin Dagmar Oberlies am Beispiel von Ladendiebstählen auf. Häufig richten Ladendiebe einen Schaden an, der deutlich unter 20 Euro liegt. Werden sie angezeigt, entstehen Kosten für die Strafverfolgung und, sollte sich der Ladendieb zum wiederholten Mal „vergriffen“ haben, Kosten für die Haft, die diese Summe um ein Vielfaches übersteigen.
Wie stark Armut und Straffälligkeit zusammenhängen, ging gerade auch aus dem Vortrag der Frankfurter Juristin hervor. Untersuchungen zufolge sind ein Drittel aller Männer, die Lebensmittel oder Alkohol klauen, wohnungslos. Unter den Frauen beträgt der Anteil etwas über zehn Prozent. Die meisten Frauen, die laut Oberlies beim Ladendiebstahl erwischt wurden, hatten höchstens 800 Euro an monatlichem Einkommen zur Verfügung. Bei den männlichen Tätern betrug das durchschnittliche Einkommen gerade einmal 1.100 Euro.
All dies zeigt, wie anspruchsvoll es ist, überschuldeten Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, zu beraten, verdeutlichte Ulf Groth, der die Schuldnerberatung in Deutschland seit 1980 maßgeblich entwickelt hat. Hinzu kommt, dass die Betroffenen oft wenig Motivation zeigen, ihre Situation zu ändern. Sie lassen sich zwar gezwungenermaßen auf eine Beratung ein, haben aber im tiefsten Inneren zunächst wenig Hoffnung, dass dies ihnen hilft, künftig ein problemfreieres Leben zu führen.
Schuldnerberater im Gefängnis wiederum sind gezwungen, sich an die teilweise straffen Regeln der Institution JVA anzupassen. Auch das erschwert die Arbeit. Groths Tipp an die Fachleute aus ganz Deutschland lautete, stets das im Fokus zu haben, was straffällig gewordene Menschen bei allen Defiziten an Ressourcen und an Ideen, wie sich ihre Situation bessern könnte, mitbringen.
Bei der Organisation der Bundesfachtagung kooperierte die Christophorus-Gesellschaft mit dem Deutschen Caritasverband sowie dem Caritasverband der Diözese Würzburg, dessen Vorsitzender Domkapitular Clemens Bieber mit eindrucksvollen Worten sein Verständnis und seine Unterstützung für die Praxis aussprach. Weitere Kooperationspartner waren die katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe sowie die Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern, dessen Vorsitzender Thomas Eichinger begrüßte. Langjährige Unterstützung zum Thema kommt in Bayern vom Justizministerium, dessen Amtschef Frank Arloth im Grußwort die weitere Förderung zusicherte.
Günther Purlein