Sicherer Hafen Wärmestube

Schritt für Schritt arbeiten sich Michael und Hamina aus der Obdachlosigkeit heraus

Christian Urban (rechts) begleitet Hamina und Michael zurück ins soziale Leben. Bild: Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft

22.12.2022

Sie wussten überhaupt nicht mehr, wohin die Dinge treiben würden. Sie hatten alles verloren. Arbeit. Die Wohnung. Alles Geld, dass sie gehabt hatten. Irgendwie schlugen sie sich in Berlin durch, erzählt Michael: „Wir zogen von einem Wohnheim für Obdachlose ins nächste.“ Bis die Entscheidung fiel: Weg! Michael erinnerte sich an Würzburg, wo er einst lebte. Mit seiner Freundin Hamina machte er sich auf den Weg. Im August kam die beiden an. Sie entdeckten die Wärmestube. Von da an wendete sich das Blatt.

In Würzburg ticken die Uhren anders als in Berlin. Michael stellte das sofort fest, als er in der unterfränkischen Metropole ankam. „In Berlin bekommt man als Obdachloser vom ersten Tag an einen Wohnheimplatz“, schildert der 29-Jährige. In Würzburg lebte der junge Mann mit seiner Freundin insgesamt drei Monate in einem Zelt. Das war eine bittere Zeit. Dennoch ist Michael froh, den Sprung gewagt zu haben. Denn so gut die Unterbringungssituation in Berlin auch war: Die Menschen, die mit ihm und Hamina in den verschiedenen Wohnheimen lebten, taten dem Pärchen nicht gut. Viele konsumierten Drogen. Viele lebten kriminell.

Die beiden hatten Angst vor Verrohung und Angst davor, am Ende selbst an der Nadel zu hängen. All das liegt nun hinter ihnen. Dank der Wärmestube, sagt Michael, habe er mit Hamina vor einem Monat in eine städtische Verfügungswohnung einziehen können. „Wir müssen nun nicht mehr im Zelt schlafen, wir haben Platz, wir haben einen Tisch, wir haben Betten, warmes Wasser, Strom, es ist für uns beide im Moment wie im Paradies“, schwärmt der gelernte Modeberater. Bis Ende April darf er mit Hamina in dieser Wohnung bleiben. Wobei dem Pärchen signalisiert wurde: Sollte es mit dem Auszug nicht klappen, wäre eine Verlängerung möglich.

Wenn wichtige Informationen fehlen, kann man wursteln wie man will, es wird zu nicht viel führen. Diese Erfahrung liegt hinter Michael und Hamina. Beide wurden durch die Corona-Krise aus ihrem bisherigen Leben geschleudert. Michael verlor dadurch seinen Job im Einzelhandel. Hamina konnte nicht länger im Hotel arbeiten. „Meine Arbeitslosigkeit war für mich ein Schock ohne Ende“, gibt Michael zu. Da er noch nie in dieser Situation gewesen war, wusste er gar nicht recht, wie man sich als Arbeitsloser verhalten muss. In der Wärmestube erhielt er eine Menge Tipps. Und eine Menge ganz praktischer Hilfe.

Michael und Hamina schafften es, von ihrer Misere zu erzählen, ohne sich zu zieren. Das schafft nicht jeder. Denn das kostet Überwindung. „Wir wollen einfach sozial wieder reinkommen“, sagt Michael. Wenn man aus allen Zusammenhängen rausflog, ist das nicht leicht. Christian Urban, Leiter der Wärmestube, baute dem Pärchen eine Brücke ins Jobcenter. Und der Sozialarbeiter kümmerte sich um die gesundheitliche Situation des Paares. Beide haben ein chronisches Leiden. Beide sind auf Medikamente angewiesen. Beide waren, als sie nach Würzburg kamen, nicht mehr krankenversichert. Und benötigten Hilfe, um an ihre Arzneimittel zu kommen.

Wer sich an einen der Sozialarbeiter in der Wärmestube der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft wendet, braucht keine Angst zu haben, dass er fortan unter Anleitung des Profis tun müsste, was der für richtig hält. „Zu unseren wichtigsten Aufgaben gehört es, herauszufinden, was die Menschen wollen“, sagt Christian Urban. Die Lösung jedweden Problems befinde sich im Kopf der Klienten: „Und nicht im Kopf des Sozialarbeiters.“ Im Falle von Michael und Hamina wurden gemeinsam immer wieder neue Probleme gelöst. Mal ging es um die Wohnung. Mal ging es um die Medikamente. Mal ging es um etwas zu essen.

Hamina und Michael bemühen sich nach Kräften, das Bestmögliche aus ihrer Situation zu machen. Die Wärmestube empfinden sie als ihren sicheren Hafen, von dem aus sie in ein neues Leben starten können. Dieses neue Leben liegt immer greifbarer vor ihnen. Michael ist inzwischen wieder so stabil, dass er sich auf Jobsuche begeben kann. Im neuen Jahr, hofft er, wird er wieder im Einzelhandel tätig sein. Hamina könnte sich gut vorstellen, neuerlich im Hotel zu arbeiten. Täglich gehen die beiden in die Wärmestube, um Stellenanzeigen zu sichten, Bewerbungsunterlagen zusammenzustellen oder auch, um potentielle Arbeitgeber anzurufen.

Zum vollen Glück fehlte nur noch eine kleine Clique netter Menschen, mit denen man sich ab und zu treffen könnte. „Freunde haben wir noch nicht gefunden“, sagt Michael. Aber auch das wird sicher eines Tages geschehen.

Zurück