„Stopp!“ sagen lernen
Christophorus-Gesellschaft erarbeitet Konzept für ein Gesundheitsmanagement

Die Arbeit hält auf Trab. Ob in der Wärmestube, der Bahnhofmission, dem Johann-Weber-Haus oder der Kurzzeitübernachtung für wohnungslose Männer: Die Beschäftigten der Christophorus-Gesellschaft haben es mit Menschen zu tun, die aufgrund ihrer prekären Lebenslage „schwierig“ sind. Durch das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM), das derzeit von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erarbeitet wird, sollen Stressfaktoren entlarvt und möglichst ausgeschaltet werden.
Chronischer Stress am Arbeitsplatz führt zu Schlafstörungen, Ängsten, Kopf- und Rückenschmerzen. Ist das Stresslevel sehr hoch, kann Burnout die Folge sein. Das soll in der Christophorus-Gesellschaft verhindert werden, sagt Fredy Arnold, der für das Betriebliche Gesundheitsmanagement bei der gemeinnützigen GmbH zuständig ist. In einem eintägigen Workshop befassten sich acht Beschäftigte aus den verschiedenen Einrichtungen unter seiner Leitung soeben mit der Frage, was sie in ihrem Berufsalltag als belastend erleben und mit welchen Maßnahmen gegengesteuert werden könnte. Wissenschaftlich begleitet wurde der Workshop von Masterstudentin Kathrin Kirschner.
Klienten, die unhöflich, aggressiv oder sogar bedrohlich auftreten, sorgen in den Anlaufstellen der Christophorus-Gesellschaft immer wieder für Stress. Beleidigungen, stellten die Workshop-Teilnehmer fest, kommen in allen Einrichtungen vor. Manchmal werden die Mitarbeiter ohne jeden Grund beleidigt. Nicht selten führen aber auch Rahmenbedingungen und Regeln zu Unmut. So darf in Einrichtungen wie der Wärmestube oder der Kurzzeitübernachtung kein Alkohol getrunken werden. Mancher Klient, der zum ersten Mal in die Übernachtung kommt, meutert auch, weil er dachte, er hätte Anspruch auf ein Einzelzimmer.
Intensiv reflektierten die Teilnehmer des Workshops darüber, inwieweit jener Unmut, der durch Rahmenbedingungen verursacht wird, reduziert werden könnte. Manches ließe sich so verändern, dass mehr Klienten zufrieden sind. Das wiederum senkt die psychische Belastung für die Beschäftigten. Zwar kann an einigen elementaren Regeln wie dem Alkoholverbot nicht geschraubt werden. Verschieben ließen sich aber zum Beispiel die Zeiten, in denen in der Wärmestube geduscht werden kann. Durch Umfragen unter den Klienten ließe sich herausfinden, was die Zufriedenheit mit den jeweiligen Angeboten erhöhen würde.
Manchmal ist jedoch höchstens zu vermuten, warum ein Klient „austickt“. Die Menschen, die in die Einrichtungen der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe kommen, haben vielfältige Probleme. Viele sind psychisch krank. Fast alle haben die Erfahrung fortwährenden Scheiterns hinter sich. Sie fanden nie einen guten Job. Sie kennen nicht das Glück einer vertrauensvollen Beziehung. Sie blitzten bei der Wohnungssuche zigmal ab.
Auch wenn die seelischen Qualen der vom Schicksal gebeutelten Klienten nachvollziehbar sind: Sozialarbeiter müssen sich keine Beleidigungen gefallen lassen. Sowohl sich selbst als auch den Klienten gegenüber „Stopp!“ zu sagen, ist unabdingbar, um gesund zu bleiben. Übersteigt die Aggressivität ein gewisses Maß, sollte sie bei der Berufsgenossenschaft und eventuell auch bei der Polizei angezeigt werden. Die Beschäftigten regten weiter ein Deeskalationstraining als regelmäßiges Angebot an.
Dass die Weltgesundheitsorganisation Burnout kürzlich als Krankheit anerkannte, zeigt, wie groß die Problematik von chronischem Stress am Arbeitsplatz ist. Auch der deutsche Gesetzgeber hat erkannt, dass mehr dafür getan werden muss, damit Menschen durch ihren Job nicht seelisch erkranken. Deshalb novellierte er vor sechs Jahren das Arbeitsschutzgesetz. Hierin heißt es nun: „Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden wird.“ Psychische Belastungen bei der Arbeit müssen seither in einer Liste möglicher Gefährdungen aufgeführt werden.
Die Christophorus-Gesellschaft leistet in der sozialen Branche Pionierarbeit, was die Identifizierung und Minimierung von psychischen Gefährdungen betrifft. Dass dieser Prozess von Anfang an wissenschaftlich begleitet wurde und die Beschäftigten in die gesunde Gestaltung ihrer Arbeitsplätze in hohem Maße eingebunden sind, ist in Deutschland noch keineswegs die Regel. Die Christophorus-Gesellschaft tut jedoch noch mehr. „Im September installierten wir ein Gesundheitsprogramm für unsere Mitarbeiter“, verrät Fredy Arnold. Inzwischen gibt es eine regelmäßige Laufgruppe sowie ein Massageangebot. Sukzessive soll das Programm ausgebaut werden.
Günther Purlein