Unter acht Grad wird‘s zu kalt

Jeden Abend treffen sich Wohnungslose aus ganz Deutschland in der Würzburger Männerübernachtung

Diese beiden jungen Männer leben auf der Straße. In der Kurzzeitübernachtung der Christophorus-Gesellschaft finden sie im Winter ein warmes Bett. Foto: Günther Purlein

Er hoffte von Jahr zu Jahr, dass es besser werden würde. Doch nichts wurde besser. Im Gegenteil. Die Situation verschlechterte sich ständig. „Vor eineinhalb Jahren wurde ich dann zum dritten Mal zwangsgeräumt, seitdem lebe ich auf der Straße“, erzählt Robert B. Der Vermieter hatte Eigenbedarf geltend gemacht. Robert B. fand keine neue Wohnung: „Jedenfalls keine, die ich mit dem Hartz IV-Satz für die Unterkunft hätte finanzieren können.“ Da packte er seine Sachen und zog los.

Er würde es schon irgendwie schaffen, sich durchzuschlagen, dachte Robert B. damals. Und er schaffte es auch. Wobei der Einstieg ins Straßenleben etwas holprig war. Die erste Nacht im Freien bleibt dem Mann unvergesslich: „Ich fiel beim Schlafen von der Parkbank.“ Viele Nächte hat Robert B. inzwischen draußen verbracht: „Das jedoch ist mir nie wieder passiert.“ Bis zu einer Temperatur von acht Grad übernachtet der Rheinland-Pfälzer im Freien. Wird es kälter, schaut er, dass er in einer Notschlafstätte unterkommt. Soeben traf in der Kurzzeitübernachtung der Christophorus-Gesellschaft ein.

Trotz seines handwerklichen Könnens ging es mit Robert B. bergab, als er 40 Jahre alt war. „Damals verlor ich meinen Job“, erzählt der Maschinenschlosser. Er bewarb sich bei verschiedenen Betrieben. Und bekam überall direkt oder indirekt mitgeteilt, dass keine Kandidaten über 35 Jahren genommen würden. Robert B., der bis dahin ein ganz normales Leben mit Wohnung, Job und Beziehung hatte, rutschte immer tiefer. Zweimal lebte er, nachdem er seine Wohnung verloren hatte, in kommunalen Verfügungswohnungen. Doch das wollte er irgendwann nicht mehr. Die Bedingungen seien dort alles andere als ideal, sagt er. Dann lieber auf der Straße leben.

Robert B. ist gern hier in Würzburg. Denn die Domstadt verfügt über eine soziale Infrastruktur, die es in vielen anderen Städten so nicht gibt. Die „Herberge“ wie die Kurzzeitübernachtung für Männer in Würzburg Jahrzehnte genannt wurde, ist gerade im Winter für den 64-Jährigen eine wichtige Anlaufstelle. Der erste Gang am nächsten Morgen führt ihn immer in die Bahnhofsmission. „Danach geht es in die Wärmestube, später ins Mutterhaus in die Ebrachergasse zum Mittagsessen, am Nachmittag bin ich dann wieder in der Wärmestube und, macht die zu, noch einmal in der Bahnhofsmission“, erzählt der Obdachlose, der soeben aus Hanau kam. Eine Woche bleibt er immer. Dann zieht er weiter. Auf einer festgelegten Route, die Robert B. nach geeigneten Schlafmöglichkeiten ausgewählt hat.

Während Robert B. erzählt, läuft der Fernseher im Aufenthaltsraum der Kurzzeitübernachtung. Ein Fußballspiel wird gerade übertragen. Tom P. (Name geändert) schaut manchmal kurz hoch, dann wieder lauscht er dem, was Robert B. am großen Tisch erzählt. Tom P. ist 26 Jahre alt. Er stammt von weißrussischen Eltern ab und wuchs in Hessen auf. „Seit zwei Jahren lebe ich nun auf der Straße“, erzählt er. Anfangs sei er noch bei Freunden untergekommen. Doch die warfen ihn irgendwann raus. Warum, kann Tom P. nachvollziehen. Er habe sich nicht korrekt verhalten, gibt der Twen zu: „Ich log zu oft.“

Die Übernachtungsmöglichkeit bei der Christophorus-Gesellschaft ist auch für Tom P. Gold wert. Denn auch er versucht, kalte Nächte im Freien zu vermeiden. Dass er nachher, gegen 22 Uhr, mit irgendjemanden ins Zimmer kommt, vielleicht mit Männern, die laut schnarchen, stört ihn nicht. Damit hat er sich abgefunden. Alles besser als kein Dach über dem Kopf zu haben.

Seine Motivation zu lernen war immer schon sehr gering gewesen, erzählt Tom P.: „Ich hatte eine regelrechte Phobie gegen die Schule.“ Das sei schon in der zweiten Klasse so gewesen. Mit Ach und Krach schaffte er den Hauptschulabschluss. Zu einer Lehre konnte er sich jedoch nicht durchringen. Im Gegensatz zu Robert B. hat Tom P. noch nie ein „normales“ Leben gehabt. Immer lavierte er sich so durch. Oft auf krummen Wegen. Mit 24 Jahren ließ er alles hinter sich, weil er es nicht mehr ertrug, dass sich seine Eltern zu Hause ständig stritten: „Ich wollte vermitteln, aber das ging einfach nicht.“

Er wäre froh über jemanden, der ihn aus allem rausreißt, meint Tom P., der stets ein sanftes Lächeln im Gesicht hat, gleichzeitig aber grenzenlos verloren wirkt. Er selbst schaffe es nach zwei Jahren Straßenleben nicht mehr, auszusteigen: „Da müsste jemand kommen, der mir einen Arschtritt gibt und sagt, pass auf, da ist ein Job, das machst du jetzt.“ Heute hat Tom P. einen Mann kennen gelernt, der ihn auf einen Job hingewiesen hat: „Es würde darum gehen, Kisten zu schleppen.“ Tom P. kramt in seinen Taschen. Zieht eine Visitenkarte vom Johann-Weber-Haus der Christophorus-Gesellschaft raus. Alte Fahrscheine. Doch der Zettel mit dem Namen des Mannes lässt sich nicht finden.

Na ja, vielleicht trifft er ihn ja noch mal am Bahnhof. Wo sich Tom P., ist er in Würzburg, meistens aufhält. Wo er ein paar Leute kennt. Die ihn manchmal zum Trinken einladen. Und mithelfen, dass die Zeit rumgeht. Irgendwie.

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