Von der Spielsucht endlich frei

Junger Würzburger erhält durch Betreutes Wohnen die Chance auf einen Neustart

Stephan Hohnerlein verabschiedet einen Klienten des Betreuten Wohnens, der bei ihm zur Beratung war.

3.12.2024

Andere würden dies als eine übermäßige Belastung empfinden. “Doch mir macht’s Spaß”, sagt Kai (Name geändert). Bis zu 65 Stunden in der Woche engagiert sich der 26-Jährige im Rettungsdienst. Er tut dies nicht nur im Rahmen seiner Ausbildung zum Rettungssanitäter, sondern viele Stunden lang freiwillig. Das stabilisiert ihn, sagt der Klient des ambulant betreuten Wohnens der Christophorus-Gesellschaft.

Kai hat eine schlimme Suchtkarriere hinter sich, wobei er nicht illegalen Drogen und auch nicht dem Alkohol verfallen war. “Ich war computerspielsüchtig”, erzählt er. Sechs Jahre lang, von seinem 19. bis zum 25. Lebensjahr, war er in einer virtuellen Parallelwelt verschollen. “Spielsucht ist eine sehr, sehr gemeine Sucht”, meint der sympathische junge Mann. Zweimal musste sich Kai stationär entgiften lassen, bevor er endlich vom Spielen loskam. Im Augenblick ist er “clean”. Und hofft, dass er das mit Unterstützung der Sozialarbeiter von der Christophorus-Gesellschaft auch bleibt.

“Das ist doch völlig verrückt, warum tust du das denn?” Wer einen exzessiv Spielsüchtigen so etwas fragt, hat nicht begriffen, was Sucht ist. Das Spielen am Computer hielt Kai jahrelang völlig in Bann. “Als ich noch bei meinen Eltern wohnte, bin ich eigentlich niemals aus dem Haus gegangen”, sagt er. Später lebte er in einer WG. Dann musste er hin und wieder zum Einkaufen raus. Selten genug. Soziale Kontakte hatte Kai jahrelang kaum noch gepflegt. Heute ist er erleichtert, dass all das hinter ihm liegt. Durch die Aufnahme ins betreute Wohnen erhielt er im August die Chance, ein neues Leben zu beginnen.

Im Rückblick sieht er, welche unglaubliche Zeitvergeudung das jahrelange Computerspielen bedeutet hatte. In lichten Momenten war ihm das auch während der Suchtphase klar gewesen. Doch aus eigener Kraft hätte er den Ausstieg nicht geschafft. “Das Computerspielen war auch mit schuld daran, dass ich keine Ausbildung fertigbekommen habe”, sagt er. Zwischendurch hatte er mal das eine, mal das andere probiert. Doch nichts hatte ihm Spaß gemacht. Vor allem hätte er sich nicht vorstellen können, den jeweiligen Beruf bis ins Rentenalter auszuüben. Nun fand Kai endlich seinen Traumjob.

“Mein Antrieb ist nicht mal so sehr, dass ich anderen helfen will”, erklärt der Twen. Ihm gefällt am Beruf des Rettungssanitäters, dass er sehr abwechslungsreich ist. Jeder Tag beschert neue Erlebnisse. Natürlich bekommt ein Rettungssanitäter manchmal auch schlimmes zu sehen: “Aber man sieht auf der anderen Seite auch sofort Erfolge.” Da geht es jemandem furchtbar schlecht. Vielleicht hat er das Bewusstsein verloren. Kai reanimiert ihn. Der Patient wird ins Krankenhaus gebracht und hat eine reelle Chance zu überleben.
Reich wird man als Rettungssanitäter zwar nicht, aber sollte Kai die Prüfung im Februar bestehen, worauf alles hindeutet, wird er immerhin nicht länger im gesellschaftlichen Abseits stehen. Aktuell lebt der junge Mann von Bürgergeld. Wann immer er sich auf dem Wohnungsmarkt bewirbt, bekommt er zu spüren: Vermieter mögen Bürgergeld-Empfänger nicht. “Auf Bewerbungen erhalte ich nicht einmal eine Absage”, sagt Kai, der sich dadurch massiv diskriminiert fühlt.

Und dann die öffentlichen Diskussionen. Von wegen, dass es viel zu leicht und viel zu viel Bürgergeld geben würde. Kai lebt von 530 Euro im Monat: “Davon muss ich Internet, Telefon, Essen und Fahrten bezahlen.” Ständig knapst er. Was er allerdings von früher gewohnt ist. Kai wuchs mit einer Schwester bei einer alleinerziehenden Mutter auf. Die hatte es schwer, die beiden Kinder durchzubringen. Kai war es schon als Kind gewohnt, meist nicht das zu essen zu bekommen, wonach es ihm gerade gelüstete. Und so viel zu essen, wie er essen wollte: “Manchmal hatten wir zu dritt 75 Euro im Monat für Essen.”

Kai ist unglaublich froh, dass er dank der Möglichkeit des ambulant betreuten Wohnens gute Bedingungen für einen Neustart nach dem Ausstieg aus der Sucht erhielt. Als sehr hilfreich empfindet er vor allem die Unterstützung bei Ämterkram: “Da verliere ich immer schnell den Überblick.” Überhaupt weiß der junge Mann, dass er sich jederzeit an die Sozialarbeiter wenden kann: “Zum Beispiel auch, wenn ich Suchtdruck spüre.”

Die schwierige Suche nach einer Wohnung bleibt für ihn und die anderen Klienten des betreuten Wohnens ein Dauerthema. 28 jüngere Männer nehmen aktuell an dem Projekt der Christophorus-Gesellschaft teil. Viele könnten nach einem Jahr ausziehen, sagt Stephan Hohnerlein, der Menschen nach der Haft ins betreute Wohnen vermittelt - sowie ein Platz frei ist. Viele, die aufgenommen werden wollen, brauchen Geduld. Aktuell stehen 15 Männer auf der Warteliste. “Die Anfragen sind in letzter Zeit gestiegen, und zwar sowohl jene aus unserer Beratungsstelle als auch die, die wir aus dem Gefängnis erhalten”, sagt seine Kollegin Karoline Keberer.

Kai ist überglücklich, dass es bei ihm so rasch geklappt hat. “Ich kam im Juni zur Christophorus-Gesellschaft und konnte am 1. August bereits in eine Wohnung ziehen”, erzählt er. Er wisse nicht, was aus ihm geworden wäre, hätte diese Möglichkeit nicht bestanden.

Text & Bild: Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft

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