Was hinter Gittern passiert

Unter dem Motto „Hingesehen!“ beginnen am 21. September die Aktionstage Gefängnis

Setzen sich für Menschen in Haft ein (v. l.): Brigitte Neugebauer vom Sozialdienst der JVA, Werner Schühler von der Zentralen Beratungsstelle für Strafentlassene der Christophorus-Gesellschaft und Barbara Steinhilber vom SkF. Foto: Günther Purlein

500 Männer und 90 Frauen sitzen derzeit im Würzburger Gefängnis eine Strafe ab. Die einen haben betrogen. Andere sind gewalttätig geworden. Wieder andere kamen mit dem Betäubungsmittelgesetz ins Gehege. „Viele dieser Gefangenen lebten draußen in Armut, viele sind nicht gesund“, sagt Werner Schühler, der sich in der Christophorus-Gesellschaft um männliche Strafentlassene kümmert. Auf diese Menschen machen die „Aktionstage Gefängnis“ vom 21. bis 30. September aufmerksam.

Das Bündnis Aktionstage Gefängnis steht in diesem Jahr unter dem Motto „Hingesehen! Gefängnis, Gesundheit und Gesellschaft“: Es wird erstmals in Deutschland an zehn Aktionstagen darüber informiert, wie die gesundheitlichen Hintergründe und Behandlungsmöglichkeiten hinter Gittern sind und was gesellschaftlich getan werden müsste, um diese Menschen im Vollzug und im Übergang in die Freiheit noch besser zu helfen. In Würzburg engagiert sich ein Netzwerk von acht Organisationen für die Aktionstage. „Arbeitskreis Übergang und Vernetzung“ nennt sich die Gruppe, die vor fünf Jahren an den Start ging. Seitdem denken die Mitglieder intensiv darüber nach, was getan werden könnte, um die Situation von Menschen im Würzburger Vollzug sowohl während der Haft, als auch für die Zeit nach der Entlassung zu verbessern.

Oft hängt die Inhaftierung direkt mit der prekären Lebenssituation der Betroffenen zusammen, erklärt Schühler: „Weil sie kein Geld haben, fahren die Menschen zum Beispiel wiederholt „schwarz.“ Die Geldstrafe können sie nicht zahlen. Sie sind aber auch nicht imstande, die Geldstrafen durch gemeinnützige Arbeit abzuleisten, weil es ihnen körperlich oder seelisch zu schlecht geht. Aus diesem Grund wandern sie ins Gefängnis.

Letztlich befinden sich im Strafvollzug keine völlig anderen Menschen als „draußen“, ergänzt Brigitte Neugebauer vom Sozialdienst der Würzburger JVA. Allerdings sind die Probleme, die es auch in Freiheit gibt, hinter Gittern potenziert. So ist der Prozentsatz der Gefangenen mit einer Suchterkrankung fast 100 Mal so hoch wie im Durchschnitt der Bevölkerung. Viele Inhaftierte sind überdies seelisch krank. „Außerdem werden unsere Gefangenen immer älter“, so Neugebauer. Altersbedingte Krankheiten wie Diabetes nehmen im Gefängnis deshalb ebenfalls zu.

In der JVA Würzburg wird viel dafür getan, dass Krankheiten entdeckt und behandelt werden. „Seit November 2017 ist es bei uns zum Beispiel möglich, Drogenabhängige zu substituieren“, sagt Neugebauer. Auch trifft sich regelmäßig eine Gruppe der Anonymen Alkoholiker. „Manche Gefangenen, die jahrelang nicht mehr beim Arzt waren, werden im Gefängnis erstmals wieder untersucht“, sagt Barbara Steinhilber, die sich beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) um Frauen in Haft kümmert.

Auch wenn schon viel getan wird, müsste doch noch mehr geschehen, um straffällig gewordenen Menschen nachhaltig zu helfen. Dies ist eine der Botschaften der „Aktionstage Gefängnis“. Barbara Steinhilber zum Beispiel fände es wünschenswert, wenn, auf freiwilliger Basis, Psychotherapie im Vollzug angeboten würde. Denn hinter vielen Taten, erfährt sie durch ihre Arbeit, steht seelisches Leid, das noch nie aufgearbeitet wurde: „Zum Beispiel sexuelle Gewalt.“

Eine Therapie wäre vor allem für jene Frauen sinnvoll, die aufgrund einer Traumatisierung ein Suchtverhalten entwickelt haben. Steinhilber hat es zum Beispiel mit mehreren Frauen zu tun, die kaufsüchtig wurden. Irgendwann kam der Punkt, an dem sie ihre Sucht nicht mehr mit dem Geld, das ihnen zur Verfügung stand, befriedigen konnten. Dann stahlen oder betrogen sie. Und wurden erwischt. In der JVA sitzen die meisten von ihnen ihre Strafe ab, ohne dass an den seelischen Hintergründen der Tat gearbeitet würde. Im Augenblick gibt es nur eine einzige Fachfrau, die Menschen in der JVA Würzburg ehrenamtlich und unentgeltlich Psychotherapie anbietet.

Die Not der Menschen, die hinter Gitter geraten, wird in der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen, bedauern Werner Schühler, Brigitte Neugebauer und Barbara Steinhilber. Weit verbreitet ist das Vorurteil, dass die Betroffenen „selbst schuld“ an ihrer Situation wären. Die Aktionstage wollen gegen diese Vorverurteilung angehen und den Blick dafür schärfen, dass gesundheitliche Probleme oft eng mit der Straftat verknüpft sind. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Gesundheitsfürsorge in der Justizvollzugsanstalt und an das Hilfesystem nach der Inhaftierung. Sie weisen auf die Möglichkeit hin, sich ehrenamtlich im Strafvollzug und in der Resozialisierung zu engagieren, um die Teilhabechancen von Gefangenen und Strafentlassenen zu erhöhen, die Rückfallquote zu senken und letztlich damit die Öffentlichkeit vor neuen Straftaten zu schützen.

Dass auch das Gefängnis ein Ort ist, an dem man sich ehrenamtlich einbringen kann, allein diese Tatsache ist kaum bekannt. Wobei es immerhin einen Stamm von 40 Männern und Frauen gibt, die sich, koordiniert von Brigitte Neugebauer, freiwillig in der Würzburger JVA engagieren. „Sie besuchen zum Beispiel zweimal im Monat einen Gefangenen, der sonst keinen Besuch erhält“, sagt die Leiterin des Sozialdienstes. Dass sich jemand von außen für sie interessiert, ist für die Inhaftierten, psychosozial betrachtet, von großem Wert. Sind sie es doch gewohnt, auf Ablehnung und Ressentiments zu stoßen.

Günther Purlein

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