„Wer Schulden hat, ist nicht‚ schuld‘“

Wie eine Studentin die komplexe Arbeit in der Schuldnerberatungsstellen erlebt

Mit großer Begeisterung schnuppert Anne Rohner in die Arbeit der Schuldnerberatung hinein. Bild: Christophorus-Gesellschaft

19.10.2021

Womit genau sollen sie sich später einmal den Lebensunterhalt verdienen? Diese Frage treibt angehende Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter um. Schließlich ist der soziale Bereich riesig. Er reicht von der Arbeit mit Kindern bis hin zur Altenhilfe. Um dieses weite Feld auszuloten, absolvieren Studierende ein Praxissemester. Anne Rohner tut dies in der Schuldnerberatung der Würzburger Christophorus-Gesellschaft. „Beratungsstellen finde ich als Arbeitsfeld sehr interessant“, sagt die 21-Jährige aus Gemünden.

Am 1. September wurde Anne Rohner umstandslos als „Neue“ ins Team aufgenommen: „Ich war sofort integriert.“ In den ersten Tagen beschäftigte sich die Studentin mit organisatorischen Fragen und machte sich mit der EDV vertraut. Sehr bald schon half sie mit, Briefe an Gläubiger zu erstellen. Schließlich durfte sie, so die Klienten einwilligten, bei Beratungsgesprächen dabei sein. Jedes Beratungsgespräch, hat Anne Rohner inzwischen erfahren, ist völlig anders. Allein, was den Einstieg anbelangt: „Einige Klienten kommen total informiert, andere haben gar keinen Überblick.“

In der Schuldnerberatung wird Menschen in Not ohne Wenn und Aber geholfen. Es stellt sich niemals die Frage, inwieweit jemand „schuld“ an seinen Schulden ist. „Wir sehen weder die Person noch deren Schulden als Problem an“, betont Anne Rohner. Schulden würden vielmehr als Ursache tiefer sitzender Schwierigkeiten interpretiert. Zu diesen Problemen zählen psychische Erkrankungen. Oder Süchte. Schulden entstehen aber oft auch aufgrund von Schicksalsschlägen. Anne Rohner hat einen Klienten kennengelernt, der vor mehreren Jahren voller Optimismus einen Ein-Mann-Betrieb gründete. Durch die Corona-Krise steht er nun vor einem finanziellen Scherbenhaufen.

Wer hohe Schulden macht, verstößt nach allgemeiner Ansicht gegen ein Tabu. Sollte man doch nur das Geld ausgeben, das man hat. So einfach ist die Sache allerdings nicht, weiß Anne Rohner heute. Schulden können entstehen, ohne dass man im Geringsten über seine Verhältnisse gelebt hat. Die Gemündenerin erinnert sich an einen Klienten, der sich zusammen mit seiner Frau den Lebenstraum eines eigenen Hauses erfüllt hatte. Dann zerbrach die Ehe. Der Mann möchte das Haus unbedingt behalten. Die Frau ist daran nicht interessiert. Sie stieg aus der Finanzierung des Kredits aus. Nun hockt er auf einem riesigen Schuldenberg.

Glücklich derjenige, der immer die gut gefüllte Geldbörse zücken kann, wenn es gilt, eine Rechnung zu begleichen. Oder sich Gutes zu gönnen. Bei den meisten Klienten der Schuldnerberatung ist chronisch Ebbe in der Haushaltskasse. „Das bedeutet, dass diese Menschen sozial kaum teilhaben können“, sagt Anne Rohner. Viele Klienten äußerten zum Beispiel, dass sie nicht mehr auswärts essen und auch nicht mehr an Veranstaltungen teilnehmen. Fast alle bedrückt es sehr, in dieser Zwangslage zu sein. „Es gibt in den Beratungsgesprächen immer wieder höchst emotionale Momente“, so die FH-Praktikantin. Mehrmals sah sie Klienten in Tränen ausbrechen.

Wo liegt nun der Schlüssel zur Lösung des Problems? „Viele kommen zu uns und wollen in die Privatinsolvenz gehen“, schildert Anne Rohner. Doch das muss nicht in jedem Fall die beste Lösung sein. Gegen eine Privatinsolvenz spricht zum Beispiel, dass dieser Schritt noch drei Jahre nach Abschluss des Verfahrens in der Schufa vermerkt ist. Das kann die Chancen auf dem Wohnungsmarkt erheblich schmälern. Insgesamt handelt es sich bei der Schuldenbereinigung um ein außerordentlich komplexes Thema, hat Anne Rohner in den letzten sechs Wochen erfahren: „Man braucht ein umfangreiches wirtschaftliches und rechtliches Wissen.“

Gerade vor diesem Hintergrund tut Aufklärungsarbeit Not, findet die junge Frau. Sehr vieles, was man im Überschuldungsfall wissen sollte, sei völlig unbekannt. „Ich selbst wusste nicht, dass man zunächst einen außergerichtlichen Einigungsversuch gemacht haben muss, bevor man ins Privatinsolvenzverfahren einsteigen kann“, sagt sie. Viel Unwissen existiert auch rund um Kreditverträge. Oft wird Menschen in Geldnot etwas völlig Unseriöses angedreht. Aufklärung findet Anne Rohner nicht zuletzt wegen der drastischen Konsequenzen von Schulden so wichtig. Die können im schlimmsten Fall zu sozialer Ausgrenzung führen.

Überschuldung ist nicht zuletzt ein Risikofaktor für Erkrankungen. Zum einen zieht der „Terror“ durch Gläubiger seelisch in Mitleidenschaft, was Depressionen auslösen kann. Menschen mit wenig Geld können sich aber auch oft nicht gesund ernähren. In der Theorie weiß Anne Rohner dies alles bereits durch ihr Studium. Nun ist sie auf die Praxis gespannt. In den nächsten Monaten wird die Studentin der Sozialen Arbeit nicht nur noch tiefer in die Schuldnerberatung einsteigen. Sie wird auch die anderen Arbeitsfelder der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft kennen lernen. Die Wärmstube zum Beispiel. Oder die Strafentlassenenhilfe.

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