Wie geht es „draußen“ weiter?

Straffälligenhilfe der Christophorus-Gesellschaft arbeitet dem „Drehtür-Effekt” entgegen

Stephan Hohnerlein berät einen Gefangenen hinsichtlich seiner bevorstehenden Entlassung in der JVA Würzburg.

08.11.2024

Manche der Männer wandern über viele Jahre immer wieder ein. Und aus. Etwa ein Drittel seiner Klienten, schätzt Stephan Hohnerlein von der Zentralen Beratungsstelle für Strafentlassene der Christophorus-Gesellschaft, ist vom Drehtür-Effekt betroffen. Das hat Gründe. Viele Gefangene finden nach der Haftentlassung keine Wohnung. Aber auch die Arbeitssuche wird immer schwieriger. Daran kann der Resozialisierungsprozess scheitern.

Stephan Hohnerlein ist regelmäßig in der Würzburger Justizvollzugsanstalt, um für Gefangene den Weg in die Freiheit zu ebnen. Vorgesehen ist die Entlassvorbereitung, sofern das gewünscht wird, etwa sechs Monate, bevor der Inhaftierte wieder auf freien Fuß kommt. Wobei diese Zeit eigentlich zu knapp ist, sagt der Sozialpädagoge. Häufig lässt sich in diesem Zeitraum keine Bleibe finden. Weder auf dem freien Wohnungsmarkt. Noch in sozialen Einrichtungen: “Auch hier ist die Warteliste oft länger als ein halbes Jahr.”
Froh war Stephan Hohnerlein deshalb, als einer seiner aktuellen Klienten, Thomas B. (Name geändert), bereits ein Dreivierteljahr vor seiner Freilassung auf ihn zukam. Thomas B. sitzt seit über einem Jahr im Gefängnis. Er gehört zu jenen Gefangenen, die im Knast-Jargon leicht ironisch “Eierdiebe” genannt werden. Was richtig Schlimmes hat der 32-Jährige nicht angestellt. So verletzte er niemanden schwer. Doch mehrere kleinere Delikte brachten ihn hinter Gitter. Beispielsweise verschaffte er sich auf illegalem Weg Geld für Drogen.

Thomas B. war ein unbeschriebenes Blatt, sagt Stephan Hohnerlein: Niemandem, der in Würzburg mit Straffälligenhilfe zu tun hat, war er bis dahin aufgefallen. Das ist alles andere als selbstverständlich. Geht Stephan Hohnerlein durch die Gänge der JVA, begegnet er häufig alten Bekannten. Männern, die er vor einem oder zwei Jahren schon mal als Klient hatte. Sie waren eine Zeit lang draußen. Meist mit den besten Vorsätzen, es diesmal zu schaffen. Scheiterten. Und wanderten wieder in den Bau.

Durch falsche Freunde kam Thomas B. auf die schiefe Bahn. Ein chaotisches Leben hatte er geführt, bevor er unter Arrest gestellt wurde. Eine eigene Wohnung hatte er längst nicht mehr gehabt: “Er schlief bei einem Kumpel auf dem Sofa.” Inhaftiert wurde er mit einer kleinen Reisetasche. Der Personalausweis war weg. Ebenso das Versichertenkärtchen der Krankenkasse. Thomas B. besaß zu diesem Zeitpunkt fast nichts mehr.

“Zu seinem großen Glück hat er noch zwei richtige Freunde, die ihm nun auch ein WG-Zimmer organisiert haben”, erzählt Stephan Hohnerlein. Wahrscheinlich wird Thomas B. auch direkt nach der Haftentlassung eine Arbeit bekommen. Dafür hat er allerdings schon während seiner Inhaftierung gesorgt: Er ließ sich im Gefängnis zum Fachlageristen weiterbilden. Über den Sozialdienst der JVA, mit dem die Christophorus-Gesellschaft eng kooperiert, konnte er von seiner Zelle aus Kontakt zu einem potentiellen Arbeitgeber knüpfen.

Thomas B. ist für Stephan Hohnerlein ein alles andere als “normaler” Klient. Die meisten Männer, die er berät, haben sehr viel mehr Probleme. Wobei das allergrößte Problem seit Jahren die oft über sehr lange Zeit erfolglose Wohnungssuche ist: “Nicht selten bewerben sich unsere Klienten vergeblich auf bis zu 50 Wohnungen.” Das ist immens frustrierend. Leicht nachvollziehbar, dass irgendwann auch die besten Vorsätze flöten gehen. Da will man ein neues Leben beginnen. Da ist man voll motiviert. Und stößt auf lauter Hürden: “Wer keine Wohnung hat, braucht an Arbeit gar nicht zu denken.”

Aber auch die Arbeitsmarktsituation erschwert die Resozialisierung. “Vor drei Jahren hätte ich noch gesagt, dass jeder, der eine Arbeit möchte, auch eine findet”, sagt Stephan Hohnerlein. Das gilt heute nicht mehr. Zum einen ist in jeder Fabrikhalle zu sehen, wie stark Roboter und künstliche Intelligenz Einzug gehalten haben. Aber auch die Firmeninsolvenzen schnellen in die Höhe. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht von der Pleite irgendeines größeren Unternehmens zu lesen ist.

Viele Männer landen nach der Haftentlassung im Bürgergeldbezug. Was bedeutet, dass sie sehr wenig Geld zur Verfügung haben. Vor allem in der Obdachlosigkeit belastet das stark. Denn so paradox das klingt: “Das Leben auf der Straße kostet”, sagt Stephan Hohnerlein. Wer eine Wohnung hat, mit Küche und Kühlschrank, kann einmal in der Woche einen Großeinkauf machen. Obdachlose leben “von der Hand” in den Mund. Und das ist ganz schön teuer.

Angesichts der hohen Kosten für einen Aufenthalt in der JVA ist es für den Mitarbeiter der Christophorus-Gesellschaft unverständlich, dass nicht mehr geschieht, um Haftentlassene zu unterstützen. Ein Tag in Haft schlägt mit etwa 150 Euro zu Buche. Viele Hafttage könnten vermieden werden, wäre für günstigen Wohnraum nach der Haftentlassung gesorgt.

Thomas B. weiß nun immerhin für ein halbes Jahr nach seiner Entlassung, wo er unterkommt. So lange kann er das WG-Zimmer haben. Dann kommt der Student, der es eigentlich bewohnt, wieder zurück. Bis dahin muss Thomas B. eine Bleibe gefunden haben. Stephan Hohnerleins Klient ist jetzt schon äußerst nervös, ob er das wirklich schaffen wird. “Ich werde ihn natürlich weiterhin unterstützen”, sagt sein Berater. Wobei auch er keine Wohnung herbeizaubern kann. “Unterstützen” heißt schlicht und einfach: Mit ihm zusammen zu suchen. Und ihn aufzubauen, sollte es mit der Wohnungssuche nicht sofort klappen.

Text & Bild: Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft

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