Wie rasch Krebs arm machen kann

Weltkrebstag: Zu den Würzburger Schuldnerberatern kommen auch schwer Erkrankte

Schuldnerberaterin Nadia Fiedler hat mit vielen Klientinnen und Klienten zu tun, die ein ganzes Bündel an Problemen mitbringen. Foto: Günther Purlein

In der Schuldnerberatung, so die verbreitete Vorstellung, dreht sich alles ums Geld. Um Geld, das fehlt. Um Geld, das zu viel ausgegeben wurde. Doch dem ist nicht so. „Es geht um sehr viel mehr“, sagt Nadia Fiedler, Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung der Christophorus-Gesellschaft. Fiedler bespricht mit ihren Klienten Ehekrisen. Schwierige Jobsituationen. Und seelische Probleme. Auch körperliche Krankheiten wie Krebs sind immer wieder Thema, berichtet Fiedler anlässlich des Weltkrebstags am 4. Februar.

Tanja B. (Name geändert), die als Therapeutin in einer Praxis tätig war, kam vor mehr als vier Jahren zu Nadia Fiedler, weil ihr gesamter Lebensentwurf durch ihre Tumorerkrankung zusammenstürzte. „Durch die Diagnose kamen jahrelang verdrängte, schlimme Kindheitserlebnisse hoch“, schildert Fiedler. Die frühen Traumatisierungen verbunden mit der existenziellen Bedrohung durch die aktuelle Diagnose führten dazu, dass Tanja B. depressiv wurde. Das hielt ihr Mann nicht lange aus. Er ging. Kurz danach wurde die 40-Jährige im Krankenstand gekündigt. Völlig verzweifelt kam Tanja B. nach diesen gehäuften Schicksalsschlägen zu Nadia Fiedler in die Beratung.

Die vorherrschende Meinung besagt: Wer „Schulden“ hat ist selber „schuld“. Auch Tanja B. war davon überzeugt. Obwohl sie nichts für ihren sozialen Absturz konnte. Die junge Frau war nie leichtsinnig mit Geld umgegangen. Vor der Krebsdiagnose hatte sie einen Kredit aufgenommen, um eine Zusatzausbildung zu finanzieren. Auf dem saß sie nun. Auch konnte sie, weil der Verdienst fehlte, mehrere Rechnungen nicht mehr begleichen. Höchstens sechs Wochen lang, erklärt Fiedler, wird das Einkommen im Krankheitsfall fortgezahlt. Danach erhalten die Betroffenen Krankengeld. Das beträgt lediglich 70 Prozent des Bruttoverdientes.

Tanja B. litt körperlich, seelisch und außerdem auch stark unter der Schuldenlast. Lange weigerte sie sich, die Möglichkeit der Verbraucherinsolvenz in Anspruch zu nehmen. Eine Restschuldbefreiung erschien ihr moralisch verwerflich. Sie wollte allen Gläubigern das zurückgeben, was sie ihnen schuldete. Stundenlang durchforstete sie mit Nadia Fiedler ihre Ausgaben. Sie kündigte Abonnements. Versicherungen. Verträge. Dennoch klappte es nicht mit dem Schuldenabtragen. Denn Tanja B. rutschte, weil sie so lange krank war, in Hartz IV. Am Ende des Monats bleibt ihr kein Geld mehr, um Schulden abzubezahlen.

Auch im Leben von Ulrike A. (Name geändert) lief nicht alles nach Wunsch. Die Firma ihres Mannes, die auf sie überschrieben worden war, wurde insolvent. Nicht nur deshalb zerbrach die Ehe. Dann wurde auch bei ihr Krebs festgestellt. Ulrike A., inzwischen 70 Jahre alt, wusste gar nicht mehr, um welche Problematik sie sich zuerst kümmern sollte: Um die Krankheit? Die Schulden? Das Scheidungsverfahren? Mit einem Wust an Fragen und Problemen tauchte sie bei Nadia Fiedler auf. „Das wichtigste ist zunächst, die Existenz zu sichern“, erläutert die Fachanwältin für Sozialrecht. Das bedeutet vor allem, dass die Miete und dass die Stromkosten jeden Monat überwiesen werden können.

Ulrike A. kommt gerade so über die Runden. „Ihr bleiben im Monat knapp 500 Euro zum Leben“, sagt Fiedler. Extras kann sie sich nicht leisten. Als kürzlich eine saftige Stromnachzahlung ins Haus flatterte, kam die Rentnerin vollends ins Trudeln. Niemals hätte sie diesen Betrag zahlen können. Nadia Fiedler setzte sich mit ihr hin und schrieb an den Energieversorger mit der Bitte, die ausstehende Summe in Raten abtragen zu dürfen. Zum Glück willigte das Unternehmen ein.

Gerade krebskranke Menschen dürften ihre Kräfte eigentlich nicht zersplittern. Sie brauchen eine Menge Energie, um Chemotherapie, Operationen und Bestrahlungen zu überstehen. Doch wer in finanzieller Not ist, kann sich nicht voll und ganz darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden. Vollends prekär wird die Situation, wenn verordnete Therapien nicht anschlagen. Dann wird versucht, auf alternativen Wegen zu Heilung zu kommen: Durch bestimmte Diäten, TCM oder Aufenthalte in Privatkliniken. Doch all das muss aus dem privaten Portemonnaie berappt werden. Was allein mit dem Krankengeld in den meisten Fällen unmöglich zu stemmen ist.

Die Quote jener Klienten, die „nur“ Schulden und ansonsten keinerlei weitere gravierenden Probleme haben, ist bei der Christophorus-Gesellschaft laut Nadia Fiedler sehr gering. Die meisten Menschen, die zu ihr und ihren Kollegen kommen, sind auch seelisch stark belastet. Einige gerieten wegen ihrer psychischen Problematik in die Schuldenspirale. Andere entwickelten Ängste oder eine Depression, weil sie ihre finanzielle Misere als zu bedrückend erlebten. Gerade bei gravierenden Leiden ist die Gefahr eines sozialen Absturzes groß. Denn wer länger als eineinhalb Jahre krank ist, erhält auch kein Krankengeld mehr. Es folgen Arbeitslosengeld I und danach Hartz IV.

Dass sie bei Nadia Fiedler jedes Thema anschneiden dürfen, das sie gerade bewegt, erleben Tanja B. und Ulrike A. als äußerst entlastend. Beide haben wieder etwas mehr Lebensmut gewonnen. Tanja B. hofft, dass sie in wenigen Jahren von ihren Schulden befreit sein wird. Und vielleicht auch bald wieder einen Job bekommt. Ulrike A. hat gelernt, mit dem wenigen Geld, das sie noch zur Verfügung hat, klarzukommen. Mit ihren Gläubigern fand sie dank Fiedler eine gute Kompromisslösung.

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