Wie viele Avocados es gibt

Acht junge Leute engagieren sich derzeit freiwillig bei der Christophorus-Gesellschaft

In der hinteren Reihe v.l.: Nora Zaiser, Leonie Stroh, Melissa Smith und in der vorderen Reihe v.l.: Peter Kammermeier, Matthias Simon, Katja Haas, Mariam Kahloul. Bei einer Hochschulveranstaltung fehlte nur Tino Steppich (FSJ) – Foto: Günther Purlein

Würzburg. Die Frau am Telefon war ganz aufgeregt. Ihre Mutter müsse weiter weg ins Krankenhaus. Die Reise sei inzwischen organisiert: „Doch wie soll sie mit dem schweren Koffer beim Umsteigen in Würzburg zurechtkommen?“ Genau dafür, hörte sie, gibt es die Bahnhofsmission. „Ich habe die alte Dame empfangen, ihren Koffer genommen, und bin mit ihr zum Abfahrtsgleis gegangen“, berichtet Mariam Kahloul, die gerade ein Praktikum in der Bahnhofsmission der Christophorus-Gesellschaft ableistet.

Mariam Kahloul studiert in Würzburg Soziale Arbeit. Die Studienordnung sieht im fünften Semester ein Praktikum vor. Auf der Homepage der Würzburger Hochschule für angewandte Wissenschaften schaute sich Mariam Kahloul um, welche Einsatzstellen denn für sie in Frage kämen. „Ich wollte auf jeden Fall etwas mit erwachsenen Menschen machen, denn ich hatte zuvor in einem Hort für Kinder und Jugendliche hospitiert“, berichtet die 23-Jährige.

Kahloul stieß sie auf ganz unterschiedliche Einrichtungen, die Praktika für Studierende anbieten. „Die Bahnhofsmission hat mich am meisten interessiert“, sagt sie. Vor allem die Vielfalt sprach sie an: „Man kommt mit wohnungslosen Menschen, aber auch mit beeinträchtigten Reisenden in Kontakt.“

Die Arbeit entpuppte sich als genauso spannend, wie sich Mariam Kahloul das vorgestellt hatte. Sowohl die Reisenden als auch die „Stammgäste“ der Bahnhofsmission erzählen gern von sich und ihrem Leben – wodurch die 23-Jährige mit neuen Welten konfrontiert wird. Vor allem ein Besucher der Bahnhofsmission fasziniert sie: „Er kommt immer, um Zeitung zu lesen, und unterhält sich dann mit uns über das, was er gelesen hat.“ Das breite Wissen des Mannes sei frappierend: „Einmal fragte er mich, wie viele Sorten von Avocados es gibt.“ Kahloul hatte keine Ahnung: „Doch er kannte mehrere namentlich.“

Mariam Kahloul ist eine von acht jungen Menschen, die sich derzeit freiwillig in der Christophorus-Gesellschaft engagieren. Ein Jugendlicher leistet ein FSJ ab, sieben absolvieren ein Praxissemester. Letzteres tut auch Leonie Stroh. Auf die Christophorus-Gesellschaft kam sie durch eine Info-Veranstaltung der Hochschule. Dabei berichteten Kommilitonen aus höheren Semestern von ihren Praktikumseinsätzen: „Am meisten begeisterten mich die Berichte aus der Christophorus-Gesellschaft.“ Leonie Stroh entschied sich schließlich für ein Praktikum in der Schuldnerberatungsstelle der ökumenischen Gesellschaft.

In den vergangenen Wochen erfuhr sie, wie belastend Schulden sein können: „Das vor allem deshalb, weil die Menschen glauben, dass sie selbst schuld an ihrer Situation wären.“ Manche Klienten seien wegen ihrer Finanzmisere völlig verzweifelt und fühlten sich unter enormem Druck. Gleichzeitig erfuhr die 22-Jährige, dass Verschuldung jeden Menschen treffen kann: „Wir haben Klienten aus sämtlichen Schichten.“

So kam vor kurzem ein 48-jähriger Mann in die Beratungsstelle, dessen Ehe in die Brüche ging. Bisher war sein Leben völlig normal verlaufen. Er hatte einen gut bezahlten Job.  War, wie es schien, glücklich verheiratet. Dann kam es zur Trennung: „Aber er hat noch einen hohen Kredit für das Haus abzuzahlen.“ Die Trennung wirbelte das Finanzierungskonzept des Mannes komplett durcheinander: „Er kam zu uns, um sich beraten zu lassen, was er nun am besten tun soll.“

Seit einigen Wochen gehört Tino Steppich dem Team der Christophorus-Gesellschaft an. Der 18-Jährige hatte noch nie in seinem Leben Kontakt zu Menschen, deren Leben aus der Bahn geraten war. Solche Menschen kennen zu lernen, das reizt ihn: „Und zwar gerade deshalb, weil ich beruflich später etwas ganz anderes machen möchte.“ Der Absolvent des Deutschhaus-Gymnasiums hat vor, in einem Jahr Wirtschaftsingenieurwesen zu studieren.

In den ersten Tagen seines FSJ schnupperte der Teenager in die Geschäftsstelle der Christophorus-Gesellschaft hinein. In den kommenden Monaten wird ihn sein Weg durch die verschiedenen Einrichtungen führen. Darauf freut sich Tino Steppich schon: „Ich habe mich eben deshalb für die Christophorus-Gesellschaft als Einsatzstelle entschieden, weil sie so viele Einrichtungen hat.“ Diese Vielfalt an Tätigkeitsfelder habe er bei keinem anderen FSJ-Anbieter, über den er sich informiert habe, gefunden.

Günther Purlein

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