Wo die Not gesehen wird

Vier Einrichtungen der Christophorus Gesellschaft feiern 140-jähriges Jubiläum

Prominenz aus ganz Bayern nahm an der Jubiläumsfeier der Christophorus Gesellschaft teil Bild: Stephan Hohnerlein / Christophorus Gesellschaft Würzburg

Die Würzburger Christophorus Gesellschaft unterstützt Menschen, denen es materiell nicht gut geht. Die überschuldet sind. Schon mal im Gefängnis saßen. Oder auf der Straße leben. Seit 45 Jahren wird in ökumenischer Zusammenarbeit Wohnungslosenhilfe geleistet, seit 40 Jahren Straffälligenhilfe, seit 35 Jahren Schuldnerberatung und seit 20 Jahren Insolvenzberatung. Mit politischer und kirchlicher Prominenz aus ganz Bayern wurde das vierfache Jubiläum am Mittwoch im Würzburger Burkardushaus gefeiert.

Bis in die 70er Jahre hinein war es nicht legal, sich auf die Straße zu setzen und zu betteln. Auch Landstreicherei wurde als Gesetzesverstoß geahndet. Beide Vergehen konnten Gefängnisstrafen nach sich ziehen. Dies änderte sich 1974. Was für den sozialen Sektor weitreichende Konsequenzen hatte. „Wegen dieser Gesetzesänderung wurde in Würzburg die erste ökumenische Kooperation gegründet“, berichtete Pia-Theresia Franke, Direktorin des Diözesan-Caritasverbands. Heute existiert die damalige Zusammenarbeit in der Zentralen Beratungsstelle für Wohnungslose der ökumenischen Christophorus Gesellschaft fort.

Die Mitarbeiter der Christophorus Gesellschaft können viele Beispiele nennen, warum Menschen in soziale Not geraten. Oft sind es ganz „normale“ Bürger, die plötzlich nicht mehr weiter wissen, erläuterte Nadia Fiedler, Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung. „Unser typischer Klient in der Schuldnerberatung stammt aus der Mittelschicht, ist zwischen 30 und 50 Jahre alt, hat einen Beruf gelernt und eine Familie gegründet“, schilderte sie. Ein Schicksalsschlag schleuderte diesen „Durchschnittsbürger“ aus der Bahn: „Durch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung kann sich der gesamte Lebensentwurf von heute auf morgen massiv ändern.“

Auch psychische Krankheiten münden nicht selten in eine soziale Katastrophe. Menschen, die an Depressionen, Borderline, Psychosen oder massiven Angststörungen leiden, sind in allen Einrichtungen der Christophorus Gesellschaft anzutreffen. „Haftentlassene zum Beispiel sind manchmal psychisch krank,“, schilderte Werner Schühler, Leiter der vor 40 Jahren gegründeten Zentralen Beratungsstelle für Strafentlassene. Daneben seien Suchterkrankungen weit verbreitet. Wie man mit der wachsenden Zahl an substituierten Strafentlassenen umgehen soll, das ist in der Zentralen Beratungsstelle aktuell eine virulente Frage. Gut, dass wir in Würzburg ein dichtes Netz an sozialen Einrichtungen haben.

Auch Menschen, die an keinem Ort zu Hause sind, die von Stadt zu Stadt ziehen oder seit vielen Jahren in Verfügungswohnungen leben, haben nicht selten seelische Probleme. Um diese Männer kümmern sich Michael Thiergärtner und seine Kollegen von der Zentralen Beratungsstelle für Wohnungslose. Jeder ist in der Erstberatung willkommen: „Hier klären wir mit dem Jobcenter Fragen zum Tagessatz sehr schnell.“ Wer weiterführende Unterstützung haben möchte, kann ins Betreute Wohnen aufgenommen werden. Neu ist die Idee, gemeinsam mit der Stadt Würzburg ein Wohnprojekt für ältere Wohnungslose ab 60 Jahren zu gründen.

Die Mitarbeiter der Christophorus Gesellschaft machen keinen „normalen“ Job, unterstrichen viele Redner während der Jubiläumsfeier. „Was hier an Arbeit geleistet wird, geht weit über das Normalmaß hinaus“, konstatierte Regionalbischöfin Gisela Bornowski. „Sie leisten Großartiges für das soziale Miteinander in unserer Gesellschaft“, lobte Sozialstaatssekretärin Carolina Trautner. Durch das Übergangsmanagement in der Straffälligenhilfe wird laut Frank Arloth vom Bayerischen Justizministerium ein wichtiger Beitrag zur Resozialisierung geleistet. „Die Rückfallgefahr ist gerade in den ersten sechs Monaten sehr hoch“, so der Ministerialdirektor.

Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter haben ein immer höheres Pensum zu bewältigen. Das liegt an gesetzlichen Verschärfungen, die neue soziale Not verursachen können. Darauf machte Bayerns Diakonie-Präsident Michael Bammessel in seinem mit viel Beifall bedachten, kritischen Statement aufmerksam. So wurden die Leistungen für arbeitssuchende EU-Bürger aus Südosteuropa gekürzt: „In bestimmten Situationen haben sie keinen Krankenversicherungsschutz.“ Dennoch bleiben die Menschen in Deutschland. Auch, wenn sie krank geworden sind: „Was bedeutet, dass man wieder nach Sonderlösungen suchen muss, um zu helfen.“ Nicht wenige versuchten, sich auf illegalen Wegen in Deutschland durchzuschlagen.

Hinter nicht angepasstem Verhalten stecken oft seelische Qualen, bestätigte auch Bammessel. Was behördlicherseits oft nicht gesehen werde. Dies betreffe zum Beispiel die Sanktionen von Hartz IV-Empfängern, die Vorgaben oder Anforderungen ignorieren. „Ich habe mit unseren Beratungsstellen sehr ausführlich über diese Problematik gesprochen und gehört, dass die Sanktionen oft Menschen mit großen psychischen Problemen treffen“, erklärte der Diakonie-Präsident. Durch Sanktionen und Restriktionen graben sich diese Menschen noch mehr ein: „Die Spirale geht immer weiter nach unten, sie kommen immer weiter ins Elend.“

Allen Entscheidern in verantwortlichen Positionen schrieb Bammessel ins Stammbuch, genauer hinzuschauen. Es sei zu leicht, Menschen in prekären Lebenslagen die Schuld an ihrer Misere selbst zuzuschreiben: „Wenn man in die Einzelschicksale hineinschaut, versteht man, warum manche Menschen den geforderten Anpassungsprozess nicht hinbekommen.“ Dieses genaue Hinschauen, das ist laut dem Diakonie-Präsidenten für die Mitarbeiter der Christophorus Gesellschaft selbstverständlich. Und zwar auch und gerade in den aktuell schwierigen Zeiten.

Zurück