Wo man sozial auftanken kann

Moritz Maier leitet seit Januar die Wärmestube der Christophorus-Gesellschaft

Der neue Leiter Moritz Maier bei einem Gespräch am Tisch in der Wärmestube
Moritz Maier (rechts) leitet seit Jahresbeginn die Wärmestube der Christophorus-Gesellschaft. Bild: Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft

Es ist ein Gefühl, als würde einem das Wasser abgegraben. Alles wird teurer. Das droht, die Existenzgrundlage zu gefährden. „Die Energiekosten führen dazu, dass Menschen zu uns in die Wärmestube kommen, weil es für sie schwierig geworden ist, daheim zu heizen, Wäsche zu waschen und zu duschen“, sagt Moritz Maier. Jeden Tag, so der Sozialarbeiter, der die Wärmestube seit Januar leitet, habe er es mit Notsituationen zu tun. Auffällig sei im Übrigen, dass viele ältere Bürger in den Tagestreff kommen.

Das Gros der Menschen im Rentenalter kann sich hierzulande nach einem arbeitsreichen Leben zurücklehnen. Man hat während der aktiven Berufszeit einiges zur Seite legen können. Hat vielleicht sogar ein sattes Guthaben auf der Bank. Man bezieht eine ordentliche Rente. Und genießt den Ruhestand. Davon kann jene ältere Dame, die einmal in der Woche in die Wärmestube zum Duschen kommt, nur träumen.
Die Frau ist so arm, dass sie sich nicht einmal ein billiges Quartier leisten kann. „Wir kennen ihren Namen nicht, wissen aber, dass sie seit langem in einem Auto schläft“, berichtet Moritz Maier. Es handele sich um ein kleines Auto: „Sie kann sich keine einzige Nacht mal richtig ausstrecken.“

Die Dame ist bescheiden. Ihr genügt es, dass sie sich in der Wärmestube ein bisschen pflegen kann. Mehr will sie nicht. Mehr erwartet sie nicht. Theoretisch wäre es möglich, dass sie mit Moritz Maier darüber spricht, warum sie in einem kleinen Auto landete. Und was sie tun könnte, um dieser Situation wieder zu entrinnen. Aber das möchte sie nicht. Moritz Maier drängt sich ihr nicht auf. Diese Zwanglosigkeit ist ein Hauptgrund dafür, warum täglich bis zu 60 Männer und Frauen in die Wärmestube kommen. Sie wissen, dass sie hier keine Direktiven erhalten. Es gibt ein paar wenige Verhaltensmaßregeln. Alkohol und Rauchen ist tabu. Ansonsten darf man einfach da sein.

Sollte jemand seine Obdachlosigkeit beenden wollen oder sollte ein Besucher den Wunsch haben, wieder ins Berufsleben einzusteigen, würde alles dafür getan, dass die betreffende Person an die richtige Anlaufstelle kommt. „Doch Hilfe wird nicht aufoktroyiert“, betont Moritz Maier. Jeder Besucher habe das Recht, sich nicht helfen lassen zu wollen.

Das erscheint den meisten Menschen „draußen“ gegen alle Logik. Wenn jemand in Not ist, die Notsituation aber nicht beenden möchte, ist er dann nicht „selbst schuld“ an seiner Lage? Warum erhält er trotzdem Hilfe? Immer wieder hört Moritz Maier solche Fragen. Nein, betont er jedes Mal. In einem freiheitlichen Staat hat jeder das Recht, so zu leben, wie er möchte. Niemand wird zwangsbeglückt.
Wobei die Sache letztlich viel komplexer ist. Ein ganzes Bündel von Gründen führte in jedem einzelnen Fall dazu, dass ein Mensch, sozial betrachtet, immer tiefer glitt, erläutert der 38-Jährige. In dem einem Besucher mögen massive Kränkungen arbeiten. Einem andern beschäftigen innerlich dramatische Enttäuschungen. „Viele unserer Besucher könnten ein dickes Buch über Vertrauensmissbrauch schreiben“, so der Mitarbeiter der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft. Bereits auf die Eltern war oft kein Verlass gewesen. Darum sei es nicht einfach, Vertrauen aufzubauen.

Viele Besuche haben wenig Grund, das Leben zu loben. Viele wüssten auf die Frage, was sie im Leben wirklich schön und gut fänden, nicht viel zu antworten. „Mit das Schlimmste ist die Einsamkeit“, so Maier. Kein Geld zu haben und deshalb an Vergnügungen wie einem Cafébesuch nie teilhaben zu können, sei tragisch genug. Doch eigentlich arm mache der Mangel an Kontakten. Die Besucher der Wärmestube stehen oft mit niemanden aus ihrer Ursprungsfamilie mehr in Verbindung. Sie haben zu keinen Verwandten Kontakt. Und haben keine Freunde.

In die Wärmestube kommen sie nicht nur wegen der hohen Heizkosten. Oder weil es hier günstigen Kaffee gibt. Und man kostenlos Zeitung lesen kann. Die meisten Besucherinnen und Besucher kommen in die Wärmestube, weil sie hier die Chance erhalten, sozial aufzutanken. Nicht wenige nutzen auch das kostenlose ärztliche Angebot. „Von diesen Besuchern sind mehrere krankenversichert“, hat Moritz Maier festgestellt. Sie könnten also zu einem ganz normalen Arzt gehen. Warum tun sie das nicht? Aus sozialen Gründen? Die Frage treibt den Einrichtungsleiter um. Auf diese Frage, nahm er sich vor, möchte er in den kommenden Monaten Antworten finden.

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