Wo steckt der Junge aus Eritrea?

Landtagsabgeordneter Georg Rosenthal übernimmt eine Schicht in der Bahnhofsmission

Georg Rosenthal begibt sich mit Anna Reus zu Gleis 6, um einen jungen Flüchtling abzuholen. Bild: Günther Purlein

Würzburg. „Sollen wir losgehen?“ Georg Rosenthal schaut auf die Uhr: „Ja, der Zug kommt gleich.“ Dann geht er mit Anna Reus, Ehrenamtliche in der Bahnhofsmission, zum Schrank, um sich eine blaue Jacke mit dem Emblem der Bahnhofsmission überzustreifen. Es ist Donnerstagnachmittag. Im Rahmen des Projekts „Rollentausch“ übernimmt der Würzburger Landtagsabgeordnete heute einen Dienst im Drei-Schicht-Betrieb der ökumenischen Einrichtung am Hauptbahnhof.

Viel hat Rosenthal schon erlebt. Er lernte einen Mann kennen, der seit Jahren keine Wohnung mehr hat. Er gab Würstchen, Tee und Gebäck an Menschen aus, die sich keine Lebensmittel kaufen können. Eine junge Frau kam an und erzählte, dass ihre Eltern sie rausgeworfen hätten. Da stand sie nun. Wie es weitergehen sollte, wusste sie nicht. Eine Ehrenamtliche nahm sich sofort ihrer an. „Wie gut, dass sie zu uns gefunden hat“, sagt Rosenthal.

Nun ist er mit Anna Reus auf dem Weg zu Gleis 6. Um 17.27 Uhr soll ein junger Flüchtling ohne Eltern aus Regensburg kommen. „Wir helfen ihm beim Umsteigen“, erklärt Reus. Am Gleis angekommen, geht sie mit Georg Rosenthal noch einmal den Zettel durch, auf dem die Regensburger Behördenmitarbeiter über den Jugendlichen informieren. Der junge Mann stammt aus Eritrea. Sein Alter ist nicht angegeben. Auch ob er Deutsch spricht, geht aus dem Schreiben nicht hervor. In Würzburg angekommen, soll er den Zug Richtung Schweinfurt nehmen.

Es ist schon dunkel. Es regnet. Eine Menge Menschen stehen am Gleis. „Wenn der Zug pünktlich kommt, kann der Jugendliche bei uns noch Tee trinken“, sagt Anna Reus. Sie hat schon öfter junge Flüchtlinge beim Umsteigen begleitet. Manche treten die Fahrt mit nichts an - ohne Geld, ohne Wasser, ohne Essen. Einige kutschieren so quer durch die Republik bis Bremen.

Mit wenigen Minuten Verspätung trifft der Zug ein. Oh weh! Es handelt sich um einen doppelten ICE, der in Hannover geteilt wird. Viele hundert Meter ist er lang. Georg Rosenthal läuft nach links, Anna Reus nach rechts. So viele Menschen, die aus- und einstiegen wollen. Beide gucken auf ihrem Weg in die Gesichter. Wo wird der Jugendliche bloß sein?

Dann stoßen sie auf eine junge Frau aus Eritrea. „Where do you want to go?“, fragt Rosenthal. Vielleicht handelt es sich ja um eine Verwechslung. Vielleicht ist der junge Mann eine junge Frau. „Main“, antwortet die Frau. Nach einigem Hin und Her wird klar, dass sie nach Frankfurt am Main will. Und nicht die Person ist, auf die Georg Rosenthal und Anna Reus warten.

Inzwischen ist das Gleis leer. Beide gehen noch mal zum Gleisende, um niemanden übersehen zu haben. Unverrichteter Dinge begeben sie sich dann zurück in die Bahnhofsmission. Wo Anna Reus versucht, mit Regensburg Kontakt zu bekommen.

Die Situation ist nicht ganz untypisch für die Bahnhofsmission. Nicht jede Bemühung ist von Erfolg gekrönt. Nicht immer wird eine offerierte Hilfe angenommen. „Die Haupt- und vor allem auch die Ehrenamtlichen müssen ungeheuer viel aushalten können“, sagt Rosenthal.

Dass die Bahnhofsmission für ihn eine unverzichtbare Einrichtung für die gesamte Region ist, aus dieser Überzeugung hat der Landtagsabgeordnete bereits als Oberbürgermeister keinen Hehl gemacht. Wenn es nach ihm ginge, würde die von der Würzburger Christophorus Gesellschaft getragene Anlaufstelle auch viel besser finanziell unterstützt. „Wir beantragen seit langem eine staatliche Förderung der Bahnhofsmissionen in Bayern“, sagt der SPD-Politiker. Doch bisher wurden alle Anträge im Landtag abgelehnt.

Günther Purlein

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