Es braucht mehr „Balance of Power“
Aktionswoche Schuldnerberatung fordert bessere finanzielle Bildung
Es dauert, bis man bei der Schuldnerberatung landet. Erste finanzielle Probleme treten auf. Können nicht gelöst werden. Allmählich wird die Problematik gravierender. “Wir haben zum Beispiel immer noch Nachholeffekte der Corona-Krise”, sagt Robert Morfeld von der Schuldnerberatung der Christophorus-Gesellschaft. Nicht alle, aber einige Probleme könnten durch mehr Wissen vermieden werden, so der Sozialarbeiter im Rahmen der diesjährigen “Aktionswoche Schuldnerberatung”.
Nicht alle, aber einige Probleme könnten durch mehr Wissen vermieden werden.
Die aktuelle wirtschaftliche Situation ist schwierig. Viele Firmen sind inzwischen insolvent gegangen. Bei weiteren steht die voraussichtliche Schließung in diesem Jahr an. “Brose ist für Würzburg ein aktuelles Beispiel, von einer Schließung wären 1.200 Beschäftigte betroffen”, sagt Robert Morfeld. Menschen werden nach seinen Worten derzeit arbeitslos, die das nie für möglich gehalten hätten. “Die bürgerliche Mitte erodiert”, sagt der Schuldner- und Insolvenzberater. Das erschien vielen bis vor kurzem unvorstellbar. Man rechnete eher mit einem weiteren Aufstieg. Nicht mit einem Abstieg. Robert Morfeld kann jeden Klienten verstehen, der ihm erklärt: “Ich fiel aus allen Wolken, als ich die Kündigung erhielt!”
Und doch: Damit, dass nicht alles so läuft, wie geplant und gedacht, muss immer gerechnet werden. Also mit Arbeitslosigkeit. Mit einer Krankheit. Mit einer Trennung oder Scheidung. Auch wenn das zum aktuellen Zeitpunkt unmöglich erscheint. Auch wenn man sich das nicht vorstellen will. Zu unangenehm sind solche Gedanken. Dennoch wäre es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Und zwar vor allem auch mit den finanziellen Konsequenzen. Aus diesem Grund steht das Thema “Finanzielle Bildung” heuer im Fokus der “Aktionswoche Schuldnerberatung”.
“Finanzielle Bildung” ist ein weites Feld.
“Finanzielle Bildung” ist ein weites Feld. Hier geht es, so Robert Morfeld, zum einen um Basiswissen. Zum Beispiel über Versicherungs- und Kreditverträge, Internetgeschäfte oder Vergleichsportale. Und welche hilfreichen Apps gibt es, um das Budget für den Haushalt zu planen? Laut dem Schuldnerberater ist es wichtig, zumindest grob über die eigenen Einnahmen und Ausgaben Bescheid zu wissen. Und zwar nicht nur über Fixkosten wie Miete, sondern auch über das Geld, das allmonatlich fürs Einkaufen draufgeht. Zur finanziellen Bildung gehört aber auch Vorsorge. Und eben die Auseinandersetzung mit Schicksalsschlägen.
Apropos Schicksalsschläge: Ein Blick in die Statistik der Christophorus-Gesellschaft von 2024 fördert Erstaunliches zutage. Nicht nur, dass die Anzahl der Klienten letztes Jahr um sieben Prozent auf 1.467 in die Höhe schnellte. Erstaunlich ist auch der letztjährige Hauptüberschuldungsgrund in Bezug auf Verschuldete aus der Stadt Würzburg: “An erster Stelle standen Erkrankungen.” Das konnten körperlich Krankheiten wie schwere Rückenleiden oder Krebs sein. Aber auch psychische Probleme katapultieren Menschen aus ihrem vertrauten Leben. Und nicht selten hinein in Schulden.
„Der Satz, dass Schulden jeden treffen können, bewahrheitet sich in den aktuellen Zeiten“
Wer Schulden macht, ist nicht leichtsinnig. Geschweige denn dumm. „Der Satz, dass Schulden jeden treffen können, bewahrheitet sich in den aktuellen Zeiten“, sagt Robert Morfeld. Damit steigt der Bedarf nach finanzieller Bildung weiter an. Wobei Schuldnerberatungsstellen diesen Bedarf weder finanziell noch personell decken können. Die wachsende Klientenzahl bei gleichbleibendem Personal sorgt ohnehin dafür, dass derzeit bis zu drei Monate auf einen Beratungstermin gewartet werden muss. Außer, die Verschuldung ist existenziell: Droht die Wohnungskündigung, wird sofort beraten.
Wobei die acht Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater der Christophorus-Gesellschaft nicht nur einzelne Überschuldete zum Teil über Jahre hinweg begleiten. Sie bieten zusätzlich Online-Beratung an. An jeden Donnerstag ist „Offene Sprechstunde“. „Am letzten Donnerstag wurde unser Rekord gebrochen, da waren 21 Leute da“, berichtet Robert Morfeld. Normalerweise sind es um die 15. Das könnte ein Ausreißer gewesen sein. Oder ein Indikator dafür, dass es tatsächlich auch in der Region Würzburg vielen Menschen inzwischen finanziell sehr viel schlechter geht.
Das würde sich mit den Daten des Statistischen Bundesamts decken. Wie soeben bekannt wurde, schnellte die Zahl der Verbraucherinsolvenzen im Januar diesen Jahres im Vergleich zum Vorjahresmonat um zehn Prozent in die Höhe. Bundesweit gab es 6.221 Verbraucherinsolvenzen.
Bundesweit gab es 6.221 Verbraucherinsolvenzen.
Nachdem keine ihm bekannte Schuldnerberatungsstelle ressourcenbedingt ein Programm zur finanziellen Bildung auflegen könnte, würde sich Robert Morfeld mehr Aufklärung an Schulen wünschen. Im idealsten Fall wäre finanzielle Bildung ein eigenes Schulfach. Zumindest aber sollte sie Teil von Projektwochen sein. Weil es an finanziellem Knowhow hapert, wissen dem Schuldnerberater zufolge so wenig Menschen darüber Bescheid, was sie beachten müssen - zum Beispiel in Bezug auf Kündigungsfristen oder Laufzeiten. Unkenntnis wiederum wird auf dem Wirtschaftsmarkt oft skrupellos ausgebeutet.
„Wir haben keine Balance of Power im Vertragswesen“, unterstreicht Robert Morfeld. Wirtschaftlich nur bedingt mündige Verbraucher stehen, denkt man zum Beispiel an Telekommunikationsgesellschaften, schier übermächtigen Vertragspartnern gegenüber. Wer zu wenig weiß, gerät leicht ins Hintertreffen.
Auch wenn man gerade etwas warten muss: Prinzipiell steht der Aufnahme neuer Klienten nichts im Wege. Im Gegenteil. Die Christophorus-Gesellschaft ist froh um jeden, der sich rechtzeitig meldet. Bevor die finanzielle Problematik ins Desaster mündet. Hilfe gibt es in jedem Fall. So verwickelt die Situation auch erscheint. Mit Vorwürfen ist garantiert nicht zu rechnen. Dafür erhalten die Klientinnen und Klienten, locker ins Beratungsgespräch eingestreut, finanzielle Bildung.
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