Auf dem Jägersitz daheim
Bewohner des Johann-Weber-Hauses beginnt aus Dankbarkeit zu schreinern
Andere wären kleinmütig geworden. Verzagt. Vielleicht gar innerlich zerbrochen. Xaver L. (Name geändert) nicht. Als ihm alles gestohlen wurde, was er besaß, und er daraufhin auf der Straße landete, nahm er das hin. Seit Sommer lebt der 66-jährige im Johann-Weber-Haus (JWH), wo er sich regeneriert. „Was mir hier Gutes widerfuhr, hat mich überwältigt”, erzählt er. Aus Dankbarkeit möchte er in den kommenden Wochen in der Werkstatt des Johann-Weber-Hauses mitarbeiten.
„Was mir hier Gutes widerfuhr, hat mich überwältigt”
Es gibt viele Klischeevorstellungen über Obdachlose. Denen, glaubt man, guckt die Armut, die Resignation, der geschrumpfte Lebensmut aus allen Knopflöchern. Tatsächlich gilt das für viele Leute, die ihre Bleibe verloren haben, nicht. Und ganz besonders nicht für Xaver L. „Ich hab mir gesagt, das ist jetzt nun mal so“, erzählt er ruhig, als sei nach dem Diebstahl zu Beginn des Jahres 2025 nichts besonders Tragisches passiert. Vier Monate war ein Jägersitz sein Zuhause. Nur bei schlechtem Wetter kam es vor, dass er am Bahnhof übernachtete. Abends ging Xaver L. in die Bahnhofsmission, um sich eine Kleinigkeit zu essen zu holen. Auch bei Sant‘Egidio schaute er zum Essen vorbei.
Durch Zufall erfuhr Xaver L. irgendwann von der sozialtherapeutischen Einrichtung Johann-Weber-Haus der Christophorus-Gesellschaft. Er klopfte an. Und fand offene Ohren. Drei Stunden erzählte er beim Aufnahmegespräch aus seinem bewegten Leben. Wie schlimm es ihm in der Familie ergangen war: „Mein Vater, ein Alkoholiker, war ein brutaler Mensch.” Mit siebzehn entrann Xaver L. einer „Hölle“. Seitdem hat er an vielen Orten in Europa gelebt. Seit Sommer wohnt der Globetrotter im Johann-Weber-Haus.
„Wir müssen keinerlei Gewinne erwirtschaften, sind rein für unsere Bewohner da.”
Wegen der integrierten Schreinerei hat das Johann-Weber-Haus unter allen Einrichtungen der Würzburger Christophorus-Gesellschaft für Menschen in sozialer Not eine Sonderstellung. „Unsere Holzwerkstatt ist nicht kommerziell ausgerichtet”, erklärt Werkstattleiter Stefan Nothegger: „Wir müssen keinerlei Gewinne erwirtschaften, sind rein für unsere Bewohner da.” Xaver L. ist für die Arbeit in der Schreinerei prädestiniert: „Ich war lange als Schreiner und Zimmerer tätig, hab auch schon Dächer gedeckt.”
Xaver L. ist ein besonderer Mensch. Er ist zum Beispiel niemand, der auf einmal gewonnenen Prinzipien auf Gedeih und Verderb beharren würde. Während seiner Obdachlosigkeit war er gezwungen gewesen, von seiner veganen Lebensweise abzugehen: „Es gab nur Fleisch, so aß ich es, es bekam mir auch auch gar nicht schlecht.“ Ein Prinzip jedoch hat er, von dem er nicht abdrücken will: „Ich trinke seit 35 Jahren keinen Alkohol.“
Das schaffte er auch während der vier Monate auf der Straße. Und das heißt was. Das Leben auf der Straße ist unglaublich hart. Dafür muss man seelisch gepanzert sein. Oft reichen die eigenen psychischen Kräfte nicht aus. Viele Wohnungslose trinken. Oder nehmen Drogen. Stefan Nothegger weiß es sehr zu schätzen, dass sein neuer Mitarbeiter immer nüchtern ist. Ein Suchtmittelkonsum hingegen kann die Arbeit in der Werkstatt sonst für beide Seiten erschweren.
„Ich lebe im Hier und Jetzt“
Man irrt sich oft in Menschen. Irrt sich in Obdachlosen. Die sind nicht „nur“ arm. Und mehr oder weniger resigniert. Spricht man mal mit ihnen, stellt man fest: Die sind absolut nicht auf den Kopf gefallen! Xaver L. sticht noch einmal heraus. Er ist belesen. Und unglaublich reflektiert. „Ich lebe im Hier und Jetzt“, meint der Zen-Anhänger auf die Frage, wie er es schafft, so gut mit den steilen Aufs und Abs in seinem Leben umzugehen.
Was sich andere selbst durch jahrelanges mentales Training nicht aneignen können, hat Xaver L. schon vor Jahren verinnerlicht. Man spürt: Er lebt tatsächlich ganz im Jetzt. Und er lebt im Vertrauen darauf, dass es gut weitergehen wird. Wenngleich auch sicher wieder auf unorthodoxen Wegen. Was daran liegt, dass Xaver L. das, was er macht, was er anpackt, nie pflichtschuldig tut. Sondern stets, weil er es möchte. Weil er das Gefühl hat, dass dies oder jenes gerade wichtig ist. So freut er sich auf die Arbeit in der Schreinerei mit Stefan Nothegger. Xaver L. hat das Gefühl: In den nächsten Wochen ist hier sein Platz.
Für viele Bewohner ist die Schreinerei gut, um sich abzulenken. Dafür jedoch geht Xaver L. nicht arbeiten. Er kann sich gut mit sich beschäftigen. Und es gibt auch viel nachzudenken. Vor allem: Wie könnte es weitergehen? Auf ein ganz normales, bürgerliches Leben hat der junger Senior nach wie vor keine Lust. Mit der Gesellschaft steht er seit jeher auf Kriegsfuß. Stets tummelte er sich dort, wo Menschen alternativ zusammenlebten. Wo sie abseits von Staat und Politik solidarisch füreinander sorgten.
„Jemanden wie ihn habe ich in 26 Jahren noch nicht erlebt“
Xaver L. scheint wie aus einer anderen Welt zu kommen. Wie aus einer anderen Kultur. „Jemanden wie ihn habe ich in 26 Jahren noch nicht erlebt“, sagt Stefan Nothegger. Er freut sich auf die Zusammenarbeit. Schön wäre, meint er, würden neue Aufträge eintrudeln. Es gibt zwar im Moment noch ziemlich viel zu tun. Aber die Neuanfragen an die Schreinerei gingen in letzter Zeit etwas zurück.
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