Über 50 Mal abgeblitzt
Die Wohnungskrise belastet Klienten aus den Johann-Weber-Haus massiv
Eigentlich könnte er gehen. Er hat bereits Hilfe erhalten. Kommt jetzt wieder mit seinem Leben klar. Gerhard L. würde gerne aus dem Johann-Weber-Haus der Würzburger Christophorus-Gesellschaft, wo er nach mehreren Monaten der Wohnungslosigkeit seit August 2023 lebt, ausziehen. Doch der 50-Jährige findet einfach keine günstige Wohnung.
Die Problematik ist bekannt: Für Menschen, die es finanziell nicht üppig haben, wird es immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Das ist seit langem so. Und es wird immer dramatischer. Gerhard L. schrieb im November 2024 seine erste Bewerbung auf eine Wohnungsanzeige. Seitdem hat er sich oft beworben: “So ungefähr 50 Mal.”
Manchmal wurde er zu einer Besichtigung eingeladen. Manchmal war er sich ganz sicher: Diesmal klappt es! Die Wohnung war nicht so besonders. Mitbewerber hatten dies oder jenes auszusetzen gehabt. Da gab es zum Beispiel keinen Stellplatz für das Auto. Oder keinen Anschluss für die Waschmaschine. Das alles spielt für Gerhard L. keine Rolle. Er hätte die Wohnung mit Kusshand genommen. War auch schon darauf eingestellt: Die werde ich diesmal kriegen! Doch dann war es wie immer: Er hörte nichts mehr vom Vermieter. Er kam wieder nicht zum Zug.
Seine letzte eigene Wohnung hatte er 2008.
Seine letzte eigene Wohnung hatte er 2008. Zwischendurch war er bei seinen Eltern in Italien. 15 Jahre lang. Sowohl die Mutter als auch den Vater hatte er bis zum Tod gepflegt. Dann ging er zurück nach Deutschland, wo er aufwuchs: In Baden-Württemberg hatten seine Eltern gelebt, als er zur Welt gekommen war. Doch der Wiedereinstieg klappte nicht. Weder beruflich noch in Bezug auf eine Wohnung. So kam es im Mai 2023 unerwartet zur Obdachlosigkeit. Und dazu, dass Gerhard L. bald darauf in die sozialtherapeutische Einrichtung Johann-Weber-Haus einzog.
Sein Traum, endlich wieder eigene vier Wände zu haben, wächst. Wie schön wäre es, denkt Gerhard L., sich nach seinem anstrengenden Job in der Gebäudereinigung abends in aller Gemütsruhe aufs Sofa flegeln und fernsehen zu können. Völlig ungestört. Wie schön wäre es, eine gute Freundin nach Hause einzuladen. Gerhard L. liebt es, zu kochen. Spaghetti mit Bolognesesoße gehört zu seinen Leibgerichten. Ja, meint er, das wäre wirklich wunderschön … ein Candlelight-Dinner mit einer netten Frau in der eigenen Wohnung.
Seine Träume motivieren ihn. Und sein Realitätssinn: “Ich muss weitersuchen, schließlich wird niemand bei mir anklopfen und sagen, dass er eine Wohnung für mich hat.” Gerhard gibt nicht auf. Auch wenn der Frust zwischendurch riesengroß ist. Sich immer wieder bewerben. Immer wieder eine Absage erhalten. Oder gar nichts mehr hören. Manchmal kommt das Gefühl auf: Da draußen, da will dich keiner haben! Dennoch weitermachen. Aufgeben, sagt Gerhard L., ist keine Option.
„Ich muss weitersuchen, schließlich wird niemand bei mir anklopfen und sagen, dass er eine Wohnung für mich hat.”
Zurück nach Italien möchte er nicht. Er möchte in Würzburg bleiben. Hier hat er seit über einem Jahr den Job in der Gebäudereinigung. Der gefällt ihm. Den möchte er behalten. Nachdem er kein Auto hat und also auf Bus und Bahn angewiesen ist, braucht er eine Wohnung in der Stadt. Weit draußen im Landkreis wäre es zu kompliziert, zur Arbeit zu kommen.
Leider ist Gerhard L. kein Einzelfall, sagt Einrichtungsleiterin Claudia Scheb. Die Wohnungssuche wird von Jahr zu Jahr schwieriger: “Früher haben sich unsere Klienten höchstens zehn Mal auf eine Wohnung beworben, heute sind 100 Bewerbungen keine Seltenheit.” Immer wieder muss das Team motivieren. Die Unterstützung bei der Wohnungssuche kostet Zeit. Das Schlimmste wäre, müsste jemand in die Wohnungslosigkeit entlassen werden.
„Früher haben sich unsere Klienten höchstens zehn Mal auf eine Wohnung beworben, heute sind 100 Bewerbungen keine Seltenheit.“
Natürlich landet niemand auf der Straße. Allerdings im Obdachlosenheim. Das Umfeld dort ist alles andere als geeignet für Menschen mit psychosozialen Problemen. Die ganze sozialtherapeutische Arbeit im Johann-Weber-Haus kann durch wenige Monate im Obdachlosenheim zunichte gemacht sein.
Noch ist dieser Fall nicht eingetroffen. Irgendwann, oft nach vielen Monaten, hat es bisher doch funktioniert. Hat jemand doch eine Wohnung gefunden. In den allermeisten Fällen, sagt Claudia Scheb, geht es nach dem Einzug dann auch gut weiter. Die Vorurteile, dass ehemals Wohnungslose oder Straffällige unmöglich gute Mieter sein können, seien weitestgehend unbegründet. Die Erleichterung, endlich eigene vier Wände zu haben, ist im Gegenteil so groß, dass die Betroffenen alles dafür tun, um die Wohnung zu behalten.
Es wäre so wichtig, sagt die Sozialarbeiterin, Vorurteile gegenüber Wohnungslosen auf dem Mietmarkt abzubauen. Noch wichtiger wäre es, mehr Sozialwohnraum zu schaffen. Die Wohnungskrise ist inzwischen heftig. Und eine weitere Zuspitzung im Grunde gar nicht vorstellbar.
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