Für Sarah Schwind ist es bereichernd, Einblick in das Johann-Weber-Haus zu bekommen.
29. September 2025
Autor: Nadia Fiedler

Den Menschen sehen, wie er ist

Sarah Schwind krempelte ihr Leben um und stieg in die Sozialarbeit ein

Vielleicht hat jemand Drogen geschmuggelt. Oder betrogen. Vielleicht hat jemand auch nur lange auf der Straße gelebt. Sarah Schwind weiß das nicht. Sie weiß das nicht, weil sie es nicht wissen will, sagt die neue Mitarbeiterin im Johann-Weber-Haus der Würzburger Christophorus-Gesellschaft. „Ich dürfte in die Akten schauen, aber ich möchte jedem Bewohner unvoreingenommen begegnen“, erklärt die 32-Jährige. Als Mensch. Wie er jetzt ist. Unabhängig von seiner Geschichte.

Seit vier Monaten übernimmt Sarah Schwind als Werkstudentin Abenddienste im Johann-Weber-Haus. Hier werden Männer sozialtherapiert, die im Gefängnis waren. Die schon lange keine eigene Bleibe mehr hatten. Oder die sonst in großer sozialer Not sind. Für diese Arbeit, könnte man denken, braucht es „toughe“ Leute. Braucht es Mitarbeitende, die salopp gesagt, nicht so schnell aus den Pantinen kippen. Beim ersten Abenddienst, gibt Sarah Schwind zu, hatte sie denn auch noch ein etwas mulmiges Gefühl: Würde alles gutgehen?

Die Männer im Johann-Weber-Haus sind alle freundlich zu mir, ich habe in den vier Monaten noch keine negative Erfahrung gemacht.

Dann entdeckte sie, dass die vagen Vorstellungen im Vorfeld mit der Realität nicht übereinstimmten. „Die Männer im Johann-Weber-Haus sind alle freundlich zu mir, ich habe in den vier Monaten noch keine negative Erfahrung gemacht“, erzählt die Sozialarbeitsstudentin. Auch in der benachbarten Kurzzeitübernachtung (KZÜ) war sie schon. Da geht es zwar manchmal etwas rau zu. Doch auch diesen Nachtdienst bewältigte sie ohne Schwierigkeiten. Beruhigend sei, so Sarah Schwind, dass in der KZÜ auch ein Security-Mitarbeiter Dienst tut. Würde abends etwas Brenzliges im Johann-Weber-Haus passieren, wäre der sofort bei ihr.

Hinter jedem Bewohner des Johann-Weber-Hauses liegt ein schweres Schicksal, jeder kann von mindestens einer großen Katastrophe in seinem Leben erzählen. Auch Sarah Schwind hat, so jung sie ist, schon Schweres erlebt. Ein Schicksalsschlag brachte die Hauswirtschaftsmeisterin dann auch dazu, ihr Leben komplett zu ändern. Sie hängte ihren gelernten Beruf an den Nagel. Und begann, an der Würzburger Hochschule Sozialarbeit zu studieren. Daneben engagiert sie sich inzwischen vielfältig auf Ehrenamtsbasis im sozialen Bereich. All das tut sie nicht, um eine Pflicht zu erfüllen. Sondern weil es ihr aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen ein Herzensbedürfnis ist.

Als es darum ging, eine Stelle als Werkstudentin zu suchen, wollte Sarah Schwind bewusst in einen Bereich eintauchen, den sie bislang allenfalls vom Hörensagen kannte. So stieß sie auf das Johann-Weber-Haus. Die junge Frau hatte bis dahin noch niemanden kennen gelernt, der viele Monate, wenn nicht gar Jahre auf der Straße verbracht hatte. Oder der in Haft gewesen ist.

Ich gehe mehrmals am Abend durchs Haus und lausche, ob etwas auffällig ist.

Aufgabe von Sarah Schwind im Abenddienst ist es, zu schauen, dass alles im Haus okay ist. Sie muss also nicht versuchen, mit Klienten eine Lösung bei komplizierten Problemen aus dem Hut zu zaubern. „Ich gehe mehrmals am Abend durchs Haus und lausche, ob etwas auffällig ist“, berichtet sie. Ansonsten sitzt sie bei offener Tür von 18 Uhr bis Mitternacht im Büro. Manchmal kommt ein Mann vorbei. Erzählt, wie schwierig es gerade mit der Jobsuche ist. Oder dass er in Kürze ins Betreute Wohnen zieht. Und sich sehr auf die neue Freiheit freut.

Im Johann-Weber-Haus lernt Sarah Schwind Menschen kennen, die in der Gesellschaft nicht gerade das beste Image haben. „Schnell sagt man, sie seien selbst dran schuld, dass sie im Gefängnis oder auf der Straße gelandet sind“, sagt sie. Durch ihre Arbeit erfährt sie: Solche Schuldzuweisungen sind absurd. Den meisten Klienten ging es schon in der Kindheit schlecht. Sie hatten keine guten, sorgenden, liebevollen Eltern. Sie hatten keinen Rückhalt. Besonders betroffen ist Sarah Schwind darüber, dass die meisten Männer bis heute weder zu irgendjemandem aus ihrer Familie engeren Kontakt haben, noch dass sie Freunde besitzen.

Gar nicht selten kommt es zum Beispiel vor, dass jemand aufgrund einer psychischen Erkrankung keine Hilfe annehmen kann.

Prekär zu leben, setzt unter Druck. Und raubt Power. Ständig unter Druck zu sein, macht was mit einem. Die einen greifen zu Alkohol, um ihr Leben zu ertragen. Andere entwickeln Verhaltensweisen, die ihre Mitmenschen abstoßen. „Gar nicht selten kommt es zum Beispiel vor, dass jemand aufgrund einer psychischen Erkrankung keine Hilfe annehmen kann“, hat Sarah Schwind erfahren. Jene, die helfen wollen, werden misstrauisch beäugt. Was führen sie im Schilde? Dass sie tatsächlich nur helfen wollen, kann sich das Gegenüber nicht vorstellen.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden viele Hilfen für Menschen mit sozialen Schwierigkeiten institutionalisiert. Dennoch, sieht Sarah Schwind, bleibt die Not groß. Bevor sie sich der Sozialen Arbeit zugewandt hatte, hatte sie nicht geahnt, wie groß die Not tatsächlich ist. Wie viele Menschen wirtschaftlich schwach sind. Und was Armut bedeutet. Da kann man sich nicht mal eben unterwegs ein Gebäckstück oder eine Pizza kaufen. Oder einen Kaffee. Da muss man ständig verzichten.

Und so viele sind psychisch krank. So viele immer wieder in Haft. So viele ohne Zuhause. Weil sie durch ihren eigenen Schicksalsschlag erfahren hat, wie schnell man aus der Bahn geworfen werden kann, hat Sarah Schwind fest vor, ihr künftiges Berufsleben Menschen in sozialer Not zu widmen.

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